Wird die Ostsee-Zeitung scheibchenweise zerlegt?
Pläne zur Auslagerung des Online-Bereiches sowie Teilen des
Verkaufsgeschäftes in tariffreie Firmen sorgen in der Belegschaft der
Ostsee-Zeitung für Beunruhigung. Während die Geschäftsführung beschwichtigt,
fürchtet der Betriebsrat, dass dies erst der Auftakt für den
schrittweisen Ausstieg aus dem Tarifvertrag und die Zerlegung in viele
kleine Firmen sein könnte.
Die Ankündigung der „Online-Offensive“ von Ostsee-Zeitung (OZ) und
Lübecker Nachrichten (LN) war Geschäftsführer Thomas Ehlers eine ganze
Sonderausgabe der Mitarbeiterzeitschrift „OZdirekt" wert. Von
Marktführerschaft, innovativen Geschäftskonzepten, neuen Erlösmodellen
war die Rede. Nach Vorbild der Muttergesellschaft Madsack wurden „Media
Stores“ in Rostock und an der Trave in Aussicht gestellt, die Lesern
nicht nur Tablet-Computer, sondern die passenden Inhalte gleich mit
verkaufen – erstellt von personell womöglich noch aufgestockten
Multimedia-Redaktionen.
Wer die Kosten des Projekts zahlen soll,
wird einige Monate später klar – die Mitarbeiter. Überraschend wurden
die Betriebsräte beider Häuser über den Plan informiert, die für das
digitale Publizieren und Verkaufen zuständigen Beschäftigten in
tariflose Tochtergesellschaften der Lübecker Nachrichten auszulagern.
Das geht aus einer Mitarbeiterinformation der Arbeitnehmervertreter
hervor.
Eine Beruhigungspille wurde gleich mitgeliefert: Wer in
die neuen Einheiten wechselt, der soll zu den bisherigen tariflichen
Konditionen bei der Online-Offensive weiter mitmachen dürfen. Nur neue
Mitarbeiter will man zu nicht näher beschriebenen „Marktkonditionen“
anwerben – befreit von den „Fesseln des Tarifvertrags“.
Der
Umstieg in die Beiboote der großen Schiffe OZ und LN könnte sich schnell
als Abenteuer mit ungewissem Ausgang erweisen: Was sind solche Zusagen
wert, wenn die Tochterfirmen in schwere See geraten oder überraschend
verchartert werden? Nahezu beliebig lassen sich die Beteiligungen
bilanztechnisch zu Gewinnbringern schön- oder zu Sorgenkindern
schlechtrechnen. Tritt Letzteres ein, könnten Gehälter und Arbeitsplätze
schnell unter Druck geraten. Sollten die Boote nämlich absaufen, sprich
in Insolvenz gehen, wäre für die Beschäftigten einer 25.000-Euro-GmbH
nichts zu holen.
Solche Befürchtungen dürfte Ehlers weit von sich
weisen. Nur was sind Versprechen wert, wenn später einmal ein neuer
Kapitän anheuert?
Betriebsräte und Betroffene haben als warnendes
Beispiel den Nordkurier vor Augen. In Neubrandenburg wurde ein Verlag
systematisch in ein Konglomerat praktisch vollkommen tarifloser Klein-
und Kleinstfirmen mit Mini-Betriebsräten zerschlagen. Selbstverständlich
kamen die vermeintlichen Besitzstände der „Alten“ unter Druck. Heute
sind Stundenlöhne unter 15 Euro selbst für Facharbeiter normal, und
zuvor outgesourcte Abteilungen wie der Anzeigensatz wurden radikal
abgewickelt.
In ähnliche Richtungen zielende Vorstöße in der
Unternehmensgruppe LN/OZ sind bisher auf den entschlossenen Widerstand
der Betroffenen gestoßen: Für die 2007 in die Tochterfirma RSG
ausgegliederte Mantelredaktion wurde die Übernahme aller Tarifverträge
und ein Rückkehrrecht im Falle von Kündigungen erstritten. Die drohende
Auslagerung der Anzeigenproduktion verhinderten die Mitarbeiter durch
mehrtägige Streiks.
Daraus scheint Geschäftsführer Ehlers eine
neue Taktik abgeleitet zu haben: Den Konflikt zunächst auf eine relativ
kleine Gruppe beschränken. Sind dann erst mal kleine Pflöcke eingerammt,
könnten bald größere folgen.