Vor Sekt und Häppchen kam Thomas Ehlers, Geschäftsführer der Ostsee-Zeitung (OZ) und Lübecker Nachrichten (LN), beim Neujahrsempfang des Rostocker Blattes zur Sache. Die Veranstaltung unter dem Motto „Gesundheitsland Mecklenburg-Vorpommern – natürlich, sportlich, fit“ nutzte er als Forum gegen den von der Großen Koalition auf den Weg gebrachten gesetzlichen Mindestlohn.
6000 Zusteller bei
Tageszeitungen und Anzeigenblättern im Nordosten seien von diesem
„Eingriff in die Tarifautonomie“ betroffen, klagte der Manager vor 400
Gästen im Rostocker Radisson-Hotel, unter denen sich auch
Mecklenburg-Vorpommerns Innen- und Medienminister Lorenz Caffier (CDU)
befand. Die meisten von ihnen verdienten sich durch das Austragen der
Blätter nur ein Zubrot. Für sie müssten andere Regeln gelten als für
Vollzeitbeschäftigte.
Mit der Realität hat das offenbar wenig zu
tun. Nach Erkenntnissen der Gewerkschaft ver.di, die sich auf
Untersuchungen der Universität Duisburg-Essen stützt, machen viele den
Knochenjob bei Wind und Wetter, weil der Verdienst im Hauptberuf oder
die Rente zum Leben nicht reicht. Und selbst im Hause OZ zirkulierende
Aufrufe der Chefetage, bei der Suche nach Zustellern zu helfen, legen
nahe, dass sich immer weniger Leute finden, die für den kargen Stücklohn
das Blatt in die Briefkästen der Abonnenten stecken wollen.
Von
den Segnungen der von Ehlers beschworenen Tarifautonomie können die
Zusteller der Ostsee-Zeitung erst recht nur träumen. Einen tariflichen
Schutz gibt es für diese Mitarbeiter, die über außerhalb des
Zeitungsbetriebes angesiedelte Agenturen beschäftigt werden, ebenso
wenig wie einen Betriebsrat. Etwas besser sieht es bei den Lübecker
Nachrichten aus, wo die bei der Tochterfirma LN Zustell GmbH
angestellten Zeitungsausträger immerhin über eine eigene
Interessenvertretung verfügen.
Fakt ist auch: Die Kosten für die
Zustellung machen mit knapp über elf Prozent nur einen vergleichsweise
geringen Teil der Aufwendungen für die Zeitungsproduktion aus. Die
Einführung des Mindestlohnes würde das nicht wesentlich verändern – das
müssten die Verlage verkraften können, die den Abonnenten in den
vergangenen sechs Jahren teilweise Preissteigerungen von 20 bis 30
Prozent zugemutet haben.
Argumente, die Minister Caffier kennen
sollte. Doch beließ es der Schweriner Vize-Regierungschef bei einem
unverbindlichem Loblied auf die vor 25 Jahren in Deutschlands Osten
errungene Pressefreiheit und mied die Entgegnung in den strittigen
Punkten. Dazu gehört auch die Überarbeitung des Landespressegesetzes, zu
der sich die Große Koalition im Nordosten per Vertrag bekannt hatte.
Im
benachbarten Schleswig-Holstein geht die Politik noch offensichtlicher
vor den Mediengewaltigen in Deckung. Der Kieler Regierungschef Ralf
Stegner (SPD) ließ sich mit der Aussage vernehmen, dass es keine
Extrawürste beim Mindestlohn geben werde – mit einer Ausnahme: „Unklar
ist noch der Status der Zeitungsausträger.“
In der Tat ist der
Mindestlohn bei den Zustellern für die Sozialdemokraten gerade im Norden
ein sensibles Thema, das ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen
berührt. Schließlich ist die Partei über ihre Medienholding DDVG an den
meisten Titeln längs der Ostseeküste – von Kieler Nachrichten bis
Ostsee-Zeitung – wesentlich beteiligt.
Die Verleger scheuen mit
ihrer Lobbyarbeit hinter den Kulissen naturgemäß ebenso die große Bühne.
Die Ostsee-Zeitung, die den Empfang wieder auf zwei ganzen Seiten
abfeierte, rückte ihren Geschäftsführer zwar gewohnt prominent ins
Blatt, ließ die Leser an Ehlers guten Vorsätzen in puncto persönlicher
Fitness im Gesundheitsland ebenso teilhaben wie an den Sorgen des Chefs
wegen des Erhalts von Werft-Arbeitsplätzen. Von dem vermeintlich so
großen Mindestlohn-Drama fand sich im Blatt dagegen kein Wort.