Rückzug: Ostsee-Zeitung gibt Ausgabe Güstrow auf

Angeblich war es der Mindestlohn – tatsächlich fehlen die Leser. Dem Rostocker Verlag ging beim Vormarsch auf das Terrain der Schweriner Volkszeitung ziemlich schnell die Puste aus. Auftakt einer weitergehenden „Flurbereinigung“ zwischen den hinter den Blättern steckenden Medienkonzernen Madsack und sh:z?

In der letzten Ausgabe wurde ganz unten rechts auf acht Zeilen das Ende verkündet: Nach etwas mehr als einem Jahr stellt die Ostsee-Zeitung (OZ) ihre elfte Ausgabe, die Güstrower Zeitung, wieder ein. Eine Begründung wurde den Lesern im Blatt nicht mitgeteilt – sie blieb den Abonnenten vorbehalten. An die wandte sich die Chefredaktion in einem Brief wenige Tage vor Weihnachten: Der seit dem Jahreswechsel geltende gesetzliche Mindestlohn, den OZ-Geschäftsführer Thomas Ehlers immer noch vehement bekämpft, musste einmal mehr als Begründung herhalten. Dadurch sei die Wirtschaftlichkeit von kleinen Lokalausgaben nicht mehr gewährleistet.

Kleinlauter Abgang.

Als Trostpflaster wird den Lesern in der Barlachstadt in dem Schreiben der Bezug einer anderen Ausgabe offeriert – „die Versandkosten für die Zustellung mit der Deutschen Post AG trägt in diesem Falle die Ostsee-Zeitung“. Derlei Großzügigkeit konterkariert der Verlag mit einer unter Juristen umstrittenen Geschäftspraxis („Opt-out“): Wer dieses Angebot nicht will, müsse sich beim Verlag melden. Einmal nicht aufgepasst, schon läuft das Abo weiter.

Dieses fragwürdige Vorgehen beschließt eine ganze Serie von Unzulänglichkeiten: Schließlich waren es offenbar weniger die zusätzlichen Kosten für eine Handvoll Zusteller, die das Projekt in Güstrow scheitern ließen, sondern die fehlenden Leser. Die Auflage der Ausgabe wurde niemals offiziell an die Informationsgemeinschaft zur Verbreitung von Werbeträgern (IVW) gemeldet, die so etwas wie das Gütesiegel der Verlagsbranche ist. In der OZ selbst kursierten Zahlen von 300 bis 500 Abos. Viele Exemplare nahm offenbar der Flughafen Rostock-Laage ab – zu Sonderkonditionen.

Mit einer halbherzigen Strategie und mangelnder Ausdauer hat sich der Verlag publizistisch um die Chance gebracht, seine Stellung im Ballungsraum Rostock-Güstrow zu verstärken. Anfangs sollte eine Seite aus Güstrow genügen, um Leser zu gewinnen beziehungsweise von der dort heimischen Schweriner Volkszeitung (SVZ) abzuwerben. Der Rest wurde mit Beiträgen aus anderen OZ-Ausgaben aufgefüllt – „nebenbei“ produziert von Redakteuren der benachbarten Lokalredaktionen Rostock und Doberan. In Güstrow selbst war man die meiste Zeit nur mit zwei Mitarbeitern vor Ort, die nicht einmal in den Genuss eines normalen Arbeitsvertrages kamen, sondern als kaum abgesicherte „Pauschalisten“ beschäftigt wurden. So könne man eine neue Lokalausgabe nicht erfolgreich stemmen, kritisierte bereits kurz nach deren Start der Betriebsrat in einer Mitteilung an die Belegschaft.

Keine guten Voraussetzungen für ein Projekt, das nach Ansicht von Branchenkennern mehrere Jahre bräuchte, um auch nur die Aussicht auf Erfolg zu haben. Tatsächlich ist in den letzten Jahrzehnten kaum irgendwo die Etablierung einer neuen Lokalzeitung gelungen. Auch die OZ musste mit einem ähnlichen Projekt Mitte der 90er-Jahre in Anklam eine Niederlage gegen den dort dominierenden Nordkurier einstecken.

Der Rückzug aus Güstrow dürfte nicht nur die Verantwortlichen bei der SVZ, die zwischenzeitlich die Bemühungen um die Leser in der drittgrößten Stadt ihres Verbreitungsgebietes verstärken musste, ruhiger schlafen lassen. Womöglich könnte er das Ende des verschärften Konkurrenzkampfes zwischen den dahinterstehenden Medienkonzernen einläuten.

2013 war es zunächst der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (sh:z), Mutter des Schweriner Zeitungshauses, der sich mit dem Kauf der etablierten Anzeigenblätter „Warnow-Kurier“ und „Markt“ im Großraum Rostock sowie in Westmecklenburg und Südholstein just auf dem Terrain der zu Madsack gehörenden Verlage OZ und Lübecker Nachrichten (LN) festsetzte und mit einer neuen, inzwischen wieder eingestellten Wochenzeitung zum Angriff auf Lübeck blies.

Doch nun hat sich Madsack ganz anders in Position gebracht. Mit dem geplanten Verkauf von Minderheitsanteilen der LN, der die OZ zu 100 Prozent gehört, an die ebenfalls zum Konzernverbund gehörenden Kieler Nachrichten hätten alle Tageszeitungen des Konzerns aus Hannover an der Ostsee die selben Gesellschafter, wenn das Bundeskartellamt dem Deal zustimmt. Zudem sitzt Madsack mit der Beteiligung der Kieler Nachrichten auch beim Nordkurier im Boot.

Als einziger nennenswerter Kontrahent in den beiden Nord-Ländern bleibt der sh:z übrig, der von Flensburg aus die gesamte Westhälfte Schleswig-Holsteins und mit der SVZ etwa ein Drittel des Marktes in Mecklenburg-Vorpommern beherrscht.

In Rostock, wo der sh:z mit den Norddeutschen Neuesten Nachrichten vertreten ist, sowie einigen Kreisen Schleswig-Holsteins stehen die Verlage auch mit ihren Tageszeitungen in Konkurrenz. Doch das könnte sich schnell ändern. Deutschlands Zeitungsverlage haben mit „Flurbereinigungen“ im gegenseitigen Einvernehmen bundesweit bereits reichlich Erfahrung, und beim Postgeschäft („Nordbrief“) machen Madsack und sh:z längst gemeinsame Sache.
5. Januar 2015