Arbeitsbedingungen beim Nordkurier seit Jahren unter Druck

Viele Beschäftigte beim Nordkurier verzichten bereits seit Jahren auf Einkommen und müssen dafür mehr leisten. Nun droht die Zerlegung des Verlages nach einem von Unternehmensberatern erarbeiteten Plan.

Viele Wochen waren die Mitarbeiter der Hamburger Unternehmensberatung Schickler beim Nordkurier im Einsatz. Ihr von der Geschäftsleitung und den Gesellschaftern erteilter Auftrag: Einmal mehr Kosten senken!
Gespart – meist auf Kosten der Beschäftigten – hat der Verlag in den vergangenen Jahren öfter:  Im Bereich Technik/Druckerei wurden die meisten Mitarbeiter bereits seit Ende der 90er Jahre in mehreren Stufen individualrechtlich über Änderungsverträge auf 33 Wochenstunden mit entsprechendem Lohnverlust „gedrückt“. Auf der Basis einer Betriebsvereinbarung arbeiten sie gegenwärtig sogar nur 30 Stunden in der Woche, bei entsprechend reduziertem Lohn. Die Geschäftsführung wollte auch hier den Weg über Änderungsverträge einschlagen, scheiterte aber am Widerstand des Betriebsrates und der Kollegen.
Weitere finanzielle Einbußen mussten die Kollegen des Bereichs hinnehmen durch geringere Schichtzuschläge infolge der Neugestaltung des Schichtrhythmus. In wenigen Jahren wurden so die Ergebnisse von Tarifverhandlungen praktisch postwendend ausgehöhlt.
In mehreren Verlagsbereichen wie Servicepunkte, Personalabteilung und Anzeigen arbeiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inzwischen - überwiegend unfreiwillig - Teilzeit nur noch zwischen 20 und 30 Wochenstunden - mit entsprechenden finanziellen Einbußen. Über eine Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung verzichten sie zudem noch bis Ende dieses Jahres auf die Hälfte ihrer Sonderzahlungen. Im Verlag arbeitet gegenwärtig nur noch eine Minderheit von Kollegen - fast ausschließlich die Leiter - nach der tariflich festgelegten Arbeitszeit.

Angriff auf Arbeitsbedingungen in der Redaktion teilweise abgewehrt

In der Redaktion kam es zum ersten großen Einschnitt vor fünf Jahren, als zwölf Redakteuren des Mantels gekündigt wurde. Wegen fehlerhafter Sozialauswahl mussten sämtliche Kollegen, die Kündigungsschutzprozesse angestrengt hatten, wieder eingestellt werden - vorwiegend in Lokalredaktionen. Dafür wurden überwiegend jüngere Beschäftigte mit befristeten Verträgen oder geringerem sozialem Schutz entlassen. Die Fotografen wurden vor zwei Jahren aus einer Festanstellung in eine freiberufliche Tätigkeit gedrängt.
Nach einer Phase, in der aktuelle Mantelseiten von der Nachrichtenagentur ddp produziert wurden, werden diese wegen anhaltender Qualitätsverluste inzwischen wieder in der Redaktion gefertigt. Bei gleichem Personalbestand. Zur Arbeitsverdichtung trug auch die schrittweise Verlagerung von layouterischen, technischen und fotografischen Tätigkeiten bei. Dafür verzichteten die Redakteure zwischen 2004 und 2006 auf der Basis einer Betriebsvereinbarung zur Beschäftigungssicherung auf die Hälfte des Urlaubsgeldes sowie der Jahresleistung.

Drei Gesellschafter

Der Nordkurier wird von der Kurierverlags GmbH & Co. KG herausgegeben. Der Verlag gehört drei Zeitungsverlagen aus den alten Bundesländern: Die Kieler Nachrichten, die Augsburger Allgemeine und die Schwäbische Zeitung (Leutkirch) sind zu jeweils einem Drittel an dem Verlag beteiligt.

Neue Strategie: Ausgliederung von Abteilungen

Mit der Ausgliederung der Anzeigenproduktion der MV-Medien-Service GmbH im Jahr 2005 wurden die Arbeitszeiten auf 40 Wochenstunden ohne Lohnausgleich erhöht. Den meisten Kolleginnen und Kollegen wurde jedoch zu verstehen gegeben, dass Arbeit nur für weniger Stunden vorhanden ist. Wenn sie jetzt wie früher 35 Stunden in der Woche arbeiten, bedeutet dies automatisch einen Lohnverlust von zehn bis zwölf Prozent. Die Mitarbeiter im Umbruch wurden sogar auf 20 Wochenstunden „gedrückt“, mit entsprechend immensen Einbußen.
Obwohl durch eine größere Zahl von diversen Beilagen und Sonderprodukten in den meisten Bereichen das Arbeitsvolumen zugenommen hat, verringerte sich die Stärke der Belegschaft in den vergangenen fünf Jahren um rund 15 Prozent. Viele Mitarbeiter gingen - häufig unfreiwillig - in Job-Sharing oder Altersteilzeit.

Betriebsrat befürchtet Zerlegung des Verlages

Diesen Weg will die Leitung unter dem neuen Chefmanager Lutz Schumacher offenbar weiter gehen. Schumacher, der die Agentur ddp in die Pleite führte und bei der Münsterschen Zeitung Anfang 2007 die gesamte Redaktion auf die Straße setzte, kann bei Arbeitsbeginn am 1. November auf das Konzept der Unternehmensberatung Schickler zurückgreifen: Deren Berater haben sich in der Branche bereits einen ,Ruf’ gemacht durch radikale Kahlschlag-Konzepte unter dem Motto „Sparen auf dem Rücken der Beschäftigten“. So schlugen sie bei der Frankfurter Rundschau einen massiven Personalabbau und die Ausgliederung von Bereichen, u.a. in der Redaktion vor.
Auch beim Freien Wort (Suhl) erinnern sich die Kollegen noch zu gut an die selbst ernannten Spezialisten: Mit einem kompletten Outsourcing der Vorstufen, Tarifflucht in der Weiterverarbeitung, Kündigungen in den Redaktionen, Honorarkürzungen und weiterer diverser Maßnahmen sollten ein paar Millionen Euro eingespart, 60 bis 90 Mitarbeiter entlassen oder auf die Hälfte des bisherigen Arbeitslohnes gedrückt werden.
Was droht beim Nordkurier? Mit dem Wechsel in die OT-Mitgliedschaft des Verbandes Norddeutscher Zeitungsverlage werden alle geltenden Tarifverträge grundsätzlich in Frage gestellt. Aber noch schützt die Nachwirkung zumindest die Gewerkschaftsmitglieder.  Eine Ausgliederung von Abteilungen, zum Beispiel der Redaktion in eine neue Firma, würde selbst diesen Schutz in Frage stellen.
Die Schickler-Berater sind Freunde klarer Ansagen: „Man muss den Mut haben, den Leuten zu sagen, man möchte sich von ihnen trennen. Dann ist alles möglich, was das deutsche Arbeitsrecht erlaubt.“


24. Oktober 2007