65 Jahre OZ: Madsack will Tarif aufs Altenteil schicken
Das radikale Personalabbau-Programm in Redaktion und Verlag läuft auf vollen Touren, doch die Konzernzentrale in Hannover will bei Mecklenburg-Vorpommerns größter Tageszeitung nun noch mehr Einsparungen auf Kosten der Mitarbeiter durchsetzen – mit Rückendeckung der SPD-Medienholding ddvg, die größter Einzelgesellschafter der Mediengruppe ist. Die Führungsetage gönnt sich
unterdessen manches Extra.
Schlechtes Timing: Während der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Martin Schulz im Namen von „mehr Gerechtigkeit“ einer Stärkung der Tarifbindung das Wort redet und dabei von Mecklenburg-Vorpommerns frisch gewählter Ministerpräsidentin Manuela Schwesig öffentlich sekundiert wird, soll bei der größten Tageszeitung des Landes – mit stiller Beteiligung der SPD – offenbar der Abschied von fairen Löhnen eingeläutet werden. Wenige Tage vor dem mit großem Pomp geplanten Hoffest zum 65. Jubiläum der Ostsee-Zeitung (OZ) hat die Konzernleitung der Madsack-Mediengruppe, deren größter Einzelgesellschafter die SPD-Medienholding ddvg ist, den Mitarbeitern ein Geburtstagsgeschenk besonderer Art präsentiert: Künftig wolle man nur noch in tariflosen Tochterfirmen einstellen. Das geht aus einer Veröffentlichung des Betriebsrates hervor.
Begründet wird der Schritt demnach damit, dass die bisherigen Strukturen nicht mehr den „Marktgegebenheiten“ entsprächen. Erste Ausschreibungen lassen erkennen, wohin die Reise gehen soll: geringere, angeblich „leistungsgerechte“ Gehälter bei verlängerter Arbeitszeit, reduzierten Urlaubsansprüchen und Sonderzahlungen. Insgesamt summieren sich die Einbußen nach Berechnungen der Arbeitnehmervertreter auf bis zu ein Viertel gegenüber dem Tarif. Ein weiterer Nackenschlag für die derzeit von einem drastischen Personalabbau in Redaktion und Verlag gebeutelte Belegschaft.
Zumindest mittelfristig könnte sich diese Strategie als Bumerang erweisen. Denn zuletzt sind die Bewerberzahlen bei Verlagen wie der OZ deutlich zurückgegangen. Jugendliche meiden inzwischen eine Ausbildung in der noch vor einem Jahrzehnt heiß begehrten Medienbranche.
Solche Einwände werden beiseite gewischt – lieber feiert sich die Chefetage mit immer aufwändigeren Inszenierungen öffentlich: Jüngst wurden „langjährige Geschäftspartner“ von OZ und Lübecker Nachrichten (LN), zu denen aus ungeklärter Ursache auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) samt Ehefrau und Schleswig-Holstein Ex-Ministerpräsident Björn Engholm (SPD) gehören, in die Hamburger Elbphilharmonie geladen – zu einem Konzert mit Star-Cellistin Sol Gabetta, touristisches Rahmenprogramm inklusive. LN-Leser und Mitarbeiter durften auf einer Dreiviertel Zeitungsseite, ergänzt durch eine Online-Bildergalerie, an der die Grenzen der Schleichwerbung heftig touchierenden Selbstbespiegelung („schon im Reisebus der Eutiner Firma Behrens kommt Stimmung auf“) teilhaben, was man dem Osten dann wohl doch nicht ganz zumuten wollte. Dort schrumpfte die Edel-Kaffeefahrt unter Reiseleitung von Geschäftsführerin Stefanie Hauer zum Zweispalter auf der Wirtschaftsseite.
Pressekodex: Richtlinie 7.2 – Schleichwerbung
Redaktionelle Veröffentlichungen, die auf Unternehmen, ihre Erzeugnisse, Leistungen oder Veranstaltungen hinweisen, dürfen nicht die Grenze zur Schleichwerbung überschreiten. Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht oder von dritter Seite bezahlt bzw. durch geldwerte Vorteile belohnt wird.
Bei den Mitarbeitern sorgen derlei entrückte Elogen ( „tolles Event mit netten Gästen“) zunehmend für Frust. Mit den gegenüber der Belegschaft gesungenen Klageliedern über sinkende Umsätze und Erlöse und Predigten zu sich daraus ergebenden Einsparnotwendigkeiten passt das nicht zusammen. Dem Beispiel vieler Konzernunternehmen folgend, setzt die OZ-Führungsriege mitnichten bei sich selbst den Rotstift an. Stattdessen hilft die Unternehmensberatung Schickler dabei, den „Markt“ zu verstehen, die Beratungsfirma Manres bemüht sich um die Etablierung einer neuen „Führungskultur“ samt auf Kaffeetassen verewigtem „Leitbild“ („Echtheit, Empathie, Wertschätzung“), entsprechende Workshops und Tagungen in den ersten Häusern am Platze eingeschlossen.
Damit nicht genug: Laut der jüngsten Veröffentlichung des Betriebsrates will die Geschäftsleitung die Motivation der Chefetage durch ein Zielbonus-System steigern. Zudem bleibt offenbar noch finanzieller Spielraum für Sonderzahlungen an Leitungskräfte in ungewöhnlicher Höhe, wie an gleicher Stelle zu lesen ist.
Und das alles mit sozialdemokratischem Segen? Unter solchen Vorzeichen blickt die Belegschaft mit besonderer Spannung auf den Auftritt von Ministerpräsidentin Schwesig, die am 9. September in Rostock das große Fest zum OZ-Jubiläum eröffnen soll. Jubel, Trubel und heile Wahlkampf-Welt, während hinter den Kulissen die Tarife zum Abbruch freigegeben werden?