Presserat rügt Neubrandenburger Zeitung

Wenn journalistische Sorgfalt auf der Strecke bleibt: Weil er mit seiner Berichterstattung gegen die Unschuldsvermutung verstoßen hat, wurde dem Nordkurier vom Deutschen Presserat eine öffentliche Rüge erteilt.

In seinen Juni-Sitzungen in Bonn hat der Deutsche Presserat mehrfach zu seiner schärfsten Sanktion, der Rüge, gegriffen. Öffentlich gerügt wurde laut Pressemitteilung der Nordkurier (Neubrandenburger Zeitung). Er hatte vorverurteilend über einen bevorstehenden Prozess gegen einen Steuerberater berichtet.

In dem Artikel wurde nicht ausreichend deutlich, dass die schweren Vorwürfe gegen den Mann zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht gerichtlich erwiesen waren. Beispielsweise bezeichnete die Zeitung den Beschuldigten schon vor dem Verfahren als „clever und kriminell“, heißt es in der Begründung.

Organ der Selbstkontrolle

Der Deutsche Presserat ist eine Organisation der großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände, der aus Plenum und Trägerverein besteht. Die Aufgabe des Trägervereins ist das Eintreten für die Pressefreiheit und die Wahrung des Ansehens der deutschen Presse. Das Plenum arbeitet als freiwilliges Selbstkontrollorgan der deutschen Presse. Es kümmert sich um die Beseitigung von Missständen im Pressewesen.

Grundlage der Tätigkeit sind die Publizistischen Grundsätze, besser bekannt als Pressekodex. Verstößt ein Presseunternehmen gegen diese publizistischen Grundsätze, kann jeder Bürger Beschwerde beim Presserat erheben.

Der Presserat hielt das für eine Verletzung der Ziffer 13 des Pressekodexes, in der das Verbot der Vorverurteilung geregelt ist. Dort heißt es: „Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.“

Außerdem sah er die Ziffer 8 – Schutz der Privatsphäre – verletzt, weil der Angeklagte zwar nicht namentlich genannt wurde, aber aufgrund des Gesamtzusammenhangs für einen weiteren Personenkreis erkennbar war.
Weil der Betroffene bei den schweren Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, mit weitreichenden Konsequenzen für seine berufliche Zukunft rechnen muss, hätte die Zeitung die Unschuldsvermutung besonders ernst nehmen müssen.

Insgesamt wurden in den zwei Beschwerdeausschüssen  74 Beschwerden behandelt. Dabei wurden neben den fünf Rügen 15 Missbilligungen und 13 Hinweise ausgesprochen. In 29 Fällen wurden die Beschwerden als unbegründet erachtet. Ein Fall war begründet, auf eine Maßnahme wurde jedoch verzichtet. In einigen Fällen gab es mehrere Beschwerdeführer gegen gleiche Veröffentlichungen.

Die Veröffentlichung des Nordkuriers ist kein Einzelfall, aber symptomatisch für eine Entwicklung, bei der journalistische Sorgfalt zunehmend auf der Strecke bleibt. „Heiße Eisen“ lassen sich nicht einfach schnell „runterschreiben“, ohne gründliche Recherche und peinliche genaue Prüfung der Sachverhalte geht es nicht. Das dies seinen Preis haben muss, rückt bei dem allgemeinen Kostensenkungswahn in den Verlagen zunehmend in den Hintergrund.

11. Juni 2008