Nordkurier kassiert Rüge vom Presserat

Nebenwirkung des von der (vermeintlichen) Bedeutung der digitalen Verbreitungswege getriebenen Kampfs um Aufmerksamkeit um Leser und Nutzer: Die journalistischen Standards kommen unter die Räder.

Der Presserat hat dem Nordkurier eine öffentliche Rüge ausgesprochen. In der Anklamer Ausgabe hatte das Blatt Ende Juli unter der Überschrift „Mann stirbt vor den Augen seiner Ehefrau“ ausführlich über einen tödlichen Badeunfall am Strand der Insel Usedom berichtet.

Die Zeitung druckte dazu drei Fotos ab, von denen zwei die Versuche von Helfern zeigen, einen leblosen Körper an den Strand zu bringen und zu reanimieren. Ein drittes Foto zeigt eine zufällig aufgenommene Szenerie unmittelbar vor dem Unfall. Zu sehen sind das spätere Opfer im Wasser und seine Ehefrau am Strand. Beide wurden in dem Bild rot eingekreist und die Blickachse zwischen ihnen mit einer roten Linie verdeutlicht.

Selbstkontrolle der Presse

19 öffentliche Rügen hat der 1956 gegründete Presserat in diesem Jahr ausgesprochen. 2013 hatte die  Organisation der großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände 31-mal zur schärfsten ihr zur Verfügung stehenden Sanktion gegriffen. Jeder kann sich bei vermeintlichen Verstößen gegen den Pressekodex in Print- und Onlinemedien an den Presserat wenden: www.presserat.de.
In dieser Darstellung sah das Selbstkontrollorgan der deutschen Presse einen Verstoß gegen die Ziffer 1 des Pressekodex: „Mit dieser Hervorhebung lenkt die Redaktion das Auge des Lesers gezielt darauf, wie die Ehefrau den Tod ihres Mannes mit ansehen muss. Damit wird dem Leser suggeriert, er nehme hautnah am Geschehen teil. Das verletzt die Menschenwürde des Opfers und seiner Angehörigen.“

Bereits 2008 hatte der Nordkurier eine Rüge erhalten und diese im eigenen Blatt abgedruckt.

Der Fall illustriert den immer härteren Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Leser und Nutzer, dem sich auch Regionalblätter ausgesetzt sehen. Die wachsende Bedeutung des Einzelverkaufs und der am Erreichen möglichst hoher „Klickzahlen“ bemessene Erfolg von Online-Beiträgen verleitet zu möglichst spektakulären Zuspitzung von Themen.

  Ostsee-Zeitung Schweriner Volkszeitung Nordkurier
Verkaufte Auflage 147 000 83 500 78 000
davon Einzelverkauf 17 800 4600 4200
E-Paper 2300 2500 700
Visits online 1 129 000 1 094 000 650 000
Quelle: IVW, Stand III. Quartal (Auflage, E-Paper) bzw. November 2014 (Visits), alle Werte gerundet

Bei näherer Betrachtung der Statistik wird freilich deutlich, dass die vermeintlichen Trends auch andere Interpretationen zulassen: Selbst bei der Ostsee-Zeitung (OZ) wird nur ein Neuntel der Auflage am Kiosk an den Kunden gebracht; bei Nordkurier und Schweriner Volkszeitung (SVZ) sind es lediglich rund 5,5 Prozent.

Die mehr als eine Million Besucher auf der Webseiten der SVZ entsprechen nach einer aktuellen Erhebung der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung tatsächlich nur rund 250 000 unterschiedlichen Nutzern, denn viele suchen die Seite mehrfach im Monat auf. Andere klicken nach wenigen Sekunden wieder weg. Die elf gedruckten Ausgaben erreichen nach verlagseigenen Angaben täglich 270 000 Menschen im westlichen Mecklenburg und der brandenburgischen Prignitz.

Die OZ feiert ihre 20 000 Facebook-Freunde – ein Spitzenwert unter vergleichbaren Angeboten von Regionalverlagen – enthusiastisch und räumt deren Wortmeldungen selbst im Print-Produkt breiten Raum ein. Stimmt da noch die Relation zwischen weitgehend anonymen Surfern, die einen Schalter „Gefällt mir“ betätigen und 122 000 Abonnenten, die monatlich zahlen?

Dass Boulevardisierung die richtige Antwort auf schwindende Auflagen ist, lässt sich mit Blick auf das bedeutendste Blatt in diesem Genre, die „Bild“, eher bezweifeln: Deren bundesweit verkaufte Auflage stürzte innerhalb von acht Jahren von knapp vier Millionen verkauften Exemplaren auf 2,4 Millionen, die Mecklenburg-Vorpommern-Ausgabe liegt mit einer Verkaufsauflage von knapp 75 000 Exemplaren im Land hinter den Regionalblättern auf Platz vier. „Kunde“ beim Presserat ist Springer Flaggschiff freilich nach wie vor.
21. Dezember 2014