Martin Dieckmann, medienpolitischer Referent in ver.di.
Wer, wie ich, in den vergangenen Jahren, sozusagen als Unternehmensberater für Betriebsräte, in Medienunternehmen – vor allem Verlagen – unterwegs war, konnte noch vor ein paar Jahren eine erstaunliche Entdeckung machen: Ausgerechnet diejenigen, die tagtäglich zur öffentlichen Aufklärung beitragen, erwiesen sich mehr als nur gering aufgeklärt über die Bedingungen ihres eigenen Tuns.
Das hat auch, aber nicht nur damit zu tun, dass Journalistinnen und Journalisten in eigener Sache oft einen Tunnelblick haben. Was vielleicht auch sein muss, weil die Eigenart ihrer Arbeit – eine ganz eigene Art von Kreativität – sonst nicht zum Tragen käme. Während man sonst aber von Kreativen zu hören bekommt: „Das verstehe ich nicht, ich bin ein Kreativer“, neigen dann Journalistinnen und Journalisten doch eher zu der Antwort: „Das verstehen Sie nicht, Sie sind kein Kreativer.“
Das hat sich mittlerweile grundlegend verändert. Der Umbau nicht nur der jeweiligen Redaktionswelten, sondern auch deren Implementierung in eine multimediale Content-Industrie lässt bald keinen Stein mehr auf dem anderen. Und selbst dort, wo sich scheinbar noch keine Änderungen vollziehen, kann man sicher sein, dass bald wirklich jeder Stein einmal in die Hand genommen und hin und her gewendet wird. Dies geht weiter so, schließlich befinden wir uns erst am Anfang eines Umbaus der Medienwelt. Darin wird es weiterhin die klassischen Medien geben. Aber welcher Platz ihnen in dieser Multimedialandschaft zugewiesen wird, das bleibt zumindest noch offen.
Insgesamt handelt es sich, was die Bewertung betrifft, um höchst
ambivalente Prozesse. Ambivalent deshalb, weil diese einerseits
Potenziale von Vielfalt, auch Qualitätssteigerung und
Qualitätssicherung enthalten, andererseits in der realen Umsetzung zu
industrieller Content-Produktion zum nivellierenden Massenvertrieb
werden. Oft schlummern gerade in den größten Auswüchsen der so
genannten Prozessoptimierungen, den Megasynergien, die größten
Potenziale für kreatives Tun. Während etwa umgekehrt die viel gerühmte
Multimedialität im Höchstmaß kommerziellen Verführungen nachgerade
Vorschub leistet. Ein Weiteres kommt hinzu – im Verhältnis von Freien
und Festen: Das Verhältnis von „Freien“ und „Festen“ spitzt sich mit
den jetzigen Änderungen nicht nur zu, es erfährt sogar eine wesentliche
Veränderung – Diese besteht aus einer zunehmenden Aufspaltung zwischen
„Kreativen“ und Producern, zwischen Schaffen und Machen, in der weite
Bereiche der „Festen“ ähnlichen Spielregeln unterworfen werden wie sie
für die „Freien“ schon immer galten.
Natürlich, und das ist hier ja das Oberthema, geht es bei all dem um
den Journalismus, um den Beruf und seine Berufung. Wenn Potenziale von
Qualitätssicherung und Qualitätssteigerung sich teilweise umkehren in
industrielle Fertigung und reinen Content-Massenvertrieb, was bleibt
dann vom Beruf und von der Berufung übrig? Zugespitzt auf Titel und
Funktionen: Wenn die Chefredakteurin heute schon Verlagsmanagerin ist,
ist dann die Redaktion demnächst nur noch ein Board von Operators,
Prozesssteuerern? Diese und ähnliche Fragen haben nichts mit
nostalgischer Verklärung bisheriger redaktioneller Verhältnisse zu
tun.
Es geht nicht um die Alternative „Newsdesk oder Tafelrunde“. Sondern darum, Beruf und Berufung von Journalistinnen und Journalisten im gesellschaftlichen Kontext von Öffentlichkeit, Kultur und Demokratie zu diskutieren – und dafür dann auch die Potenziale der neuen Medienwelt zu nutzen.
Mit dem bis hierhin Gesagten habe ich auch schon umrissen, was ich im Folgenden genauer behandeln werde. Zunächst werde ich auf einige wesentliche Merkmale der neuen Multimedialandschaft eingehen – darunter insbesondere auf die Aspekte von Vielfalt, Verbreitungs- und Vertriebswegen. Im nächsten Schritt werde ich dann auf die damit verbundenen betrieblichen und wirtschaftlichen Aspekte eingehen: die Bedeutung von Prozessen, Synergien, deren Kosten- und Optimierungsanalyse. Das Stichwort hierzu heißt: „Workflow“. Sonst wird das Nächste nicht vollständig verstanden – nämlich die Kernformen redaktioneller und sogenannter kreativer Produktion. Stichworte hierfür sind: „Newsdesk“, „Newsroom“ und deren neue Vernetzung von Freien und Festen. Was dann, in einem vierten Schritt, zurückführt in die multimediale Landschaft – unter dem Stichwort: „medienkonvergente Redaktionsinhalte“. Bleibt am Ende die Frage nach und die Diskussion über Beruf und Berufung von Journalistinnen und Journalisten – und was diese selber dazu beizutragen haben.
Ich beginne mit Inhalt und Vielfalt in der Multimedialandschaft,
denn diese macht nun einmal das mediale Umfeld des Journalismus aus.
Aber auch mehr. Denn es ist einerseits Umfeld im Sinne auch von
gesellschaftlichem Umfeld, es ist aber auch Umfeld im Sinne von
journalistischer Arbeit. Und vor allem ist es das Umfeld von
journalistischen Produkten. Unter den Voraussetzungen der
Digitalisierung handelt es sich in Hinsicht auf Vielfalt um ein schier
unendliches Potenzial.
Nur, und das ist sozusagen schon der kategoriale Einstieg ins Thema,
kann dieses Potenzial nur gut und nicht nur viel genutzt werden, wenn
man sich eines klar macht: Gerade das Internet, das Web, ist kein
Medium. Es ist vorrangig eine Plattform für Vertriebswege, Vertrieb von
Informationen als Content. Journalismus, als Unterfall von Publizistik,
wird hierunter schlicht subsumiert.
Was wir nun für die gesamte Medienlandschaft feststellen können, wird durch die explosionsartige Vervielfältigung der Verbreitungswege von Content enorm verstärkt: Es wächst nicht die Vielfalt, es nehmen lediglich die Verbreitungs- und Vertriebswege zu. Dies ist eine Problematik, die alle klassischen Medien erfasst.
Dies hat erst kürzlich Eingang gefunden sogar ins Verfassungsrecht
der Bundesrepublik Deutschland – durch das jüngste Rundfunkurteil des
Ersten Senats. Wie es mit der Vielfalt bestellt ist, war schon häufiger
Thema auf dem Journalistentag.
Ich kann hieran anknüpfen. Vielfalt kann man, und jetzt nehme ich das
Beispiel der Presse, sehr vielfältig betrachten: So ist es richtig,
dass Deutschland eine ausgeprägte Vielfalt der Regionen hat. Daraus
folgern nun die Verleger, es gäbe eine Vielfalt der
Regionalzeitungen.
Aus der Vogelperspektive stimmt dies – wenn man die Zeitungslandschaft insgesamt betrachtet – in der regionalen Perspektive stimmt das schon viel weniger. Hier herrscht vielfältige Einfalt vor. Oder die Inhalte-Vielfalt, wiederum im Perspektivenwechsel: Am Kiosk in Berlin wird, wenn man vor allen angebotenen Zeitungen steht, die Vielfalt geringer, wenn „Welt“ und „Morgenpost“ gleich lautende Artikel drucken. Das ist dann womöglich für den Leser einer einzigen Zeitung wiederum anders: Hier kommt es darauf an, wie viel Vielfalt innerhalb eines Objektes geboten wird. Wenn es aber, und darauf läuft es in theoretischer Verlängerung hinaus, am Ende x-tausend Titel gibt, in denen immer ein und dieselbe Vielfalt vorherrscht, dann haben wir es auch hier mit einer Vielfalt der Einfalt oder Einfalt der Vielfalt zu tun.
Bis zur Verbreitung des Web als Informations- und Kommunikationsplattform kannten wir einen beschleunigten Wettbewerb innerhalb der klassischen Medien vor allem in zwei Gattungen: dem Fernsehen, vor allem dem privatwirtschaftlichen Fernsehen, und den Publikumszeitschriften. In beiden Fällen, wenn auch auf ganz unterschiedlichen Märkten, haben wir es in der Tat mit einer nachgerade wimmelnden Vielfalt zu tun – Titelvielfalt, Sendervielfalt, aber schon bei dem, was man im Fernsehen „Format“ nennt, stockt diese Eloge auf die Vielfalt: Die Vielfalt der Formate im Privatfernsehen ist keine synchrone Vielfalt – also: Alle Sender bieten gleichzeitig etwas anderes an. Sondern eine diachrone: Alle Sender bieten dasselbe Neue, aber gleichzeitig an. Im Werben und Locken von Kunden sind Formate und Titel, sind Outfit und Präsentation schon der eigentliche Content. Dass man davon leben und daran gut verdienen kann, macht die Medienwirtschaft als Medienwirtschaft aus.
Dies alles ist nun auf wunderbare Weise durch das
Bundesverfassungsgericht – anlässlich eines scheinbar weit ab liegenden
Themas, nämlich der Rundfunkfinanzierung – so zusammengefasst worden:
Unter den Bedingungen einer Medienwirtschaft findet Vielfalt im
Wesentlichen in der Entwicklung neuer Verbreitungs- und Vertriebswege
statt, während gerade die Marktabhängigkeit – hier geht es vorrangig um
die Werbemärkte – zu einer Verengung und Verarmung inhaltlicher
Vielfalt führt. Dies lässt sich, auf allgemeiner Ebene, noch weiter
zuspitzen:
Im Umfeld rein kommerzieller Zielsetzungen werden gerade neue
Plattformen zur vielfältigen Verbreitung von Inhalten zum Gegenteil
dessen, was sie könnten.
Insofern potenziert sich mit den neuen Verbreitungswegen eine bereits bekannte Tendenz. Nun aber kommt die Verknüpfung der verschiedenen Medienmarktplätze hinzu. Und hier geht es – strategisch gesehen – darum, die Nutzer einzusammeln, um sie in anderen Verwertungsketten einzubinden. Worum es also heute in publizistischer Hinsicht auf allen Plattformen und durch alle Kanäle geht, ist deshalb etwas, das es in dieser Dimension noch nicht gegeben hat: Die Produktion von Publikum, im Plural: Publika. Man sucht die Mediennutzer auf, man verfolgt sie regelrecht, man versucht ihre Communities einzukesseln, um im Verbund von klassischen und neuen Medien die neuen Verbreitungs- und Vertriebswege kommerziell zu nutzen.
Um nun auf den Journalismus zu kommen, was ist hier dessen Rolle? Sehr erhellend sind in dieser Hinsicht zwei Äußerungen aus dem Umfeld von Verlegern.
Die eine besagt: „Wir sind primär Content-Verkäufer.“ So etwas hat
man schon einmal gehört, viel sagender ist aber die zweite Äußerung:
„Wir verkaufen zwar noch immer Zeitungen, aber schon längst mehr – wir
verkaufen Publika.“ Auf der Suche nach Publika, Communities, beim
Ausspähen und Einhegen, Pflegen und Züchten der begehrten Spezies
namens „Zielgruppe“ sind die Journalistinnen und Journalisten Vorhut
und Nachhut zugleich. Sie sind, im Sinne von Kreativität, die Spürhunde
oder auch lax gesagt, die „Frontschweine“. Sie sind, im Sinne von
Produktivität, als Redaktionen letztlich Produktionsfirmen, deren
Kunden gar nicht die Leser und Hörer sind, sondern die Verlage und
Senderunternehmen.
Die Ökonomie des Journalismus besteht also darin, dass der Journalismus
nicht primär Nachrichten oder sonstige Informationen verkauft – sondern
Reichweiten, Quoten.
Diese Ökonomie des Journalismus in der Medienökonomie muss man
verstanden haben, um sich im Weiteren dem zu nähern, was die
eigentlichen Produktionsbedingungen ausmacht und was nachhaltig Beruf
und Berufung von Journalistinnen und Journalisten bedroht.
Lassen wir für einen Moment die Ökonomie des Journalismus in der Medienökonomie beiseite – ich komme darauf im Einzelnen noch zurück – und wenden uns einem für das Weitere entscheidenden Themenfeld zu: der Eingliederung journalistischer Arbeit in einen neuartigen Industrialisierungsprozess. Dieser durchzieht die Medienproduktion, er hat viele Vorläufer und Pioniere. Aber erst jetzt greift er in die Gesamtheit der journalistischen Arbeit ein.
Der Begriff Industrialisierung ist hier keineswegs provokant gemeint, sondern verweist ganz sachlich auf eine durchgängige Ausrichtung von Betrieben auch der Medienunternehmen. Als Provokation wirkt der Begriff der Industrialisierung natürlich insbesondere im Journalismus. Schließlich, und das ist gut so, wenn auch manchmal von allzu viel Naivität durchtränkt, gehört es zum Selbstbewusstsein von Journalistinnen und Journalisten, eben nicht industriell zu arbeiten. Wir kennen zu gut diese Protestnoten: „Redaktionen sind keine Schuhfabrik!“ Sie sind es nicht nur, sie sind aber – sie werden es jedenfalls – auch Fabrik.
Das zu begreifen, ist bitter und macht Not, es tut aber auch Not, um ein grundlegenden Missverständnis auszuräumen, das leider insbesondere von Wirtschaftsjournalisten seit mehr als zwanzig Jahren immer wieder verbreitet wird: Es ist das Missverständnis, der Taylorismus in der Industrie sei tot, und vorrangig ginge es heute um Dienstleistungen. Zum Letzteren so viel: Wenn man Produktionsketten in Zuliefererbeziehungen zerlegt und eine Abteilung an die andere das Zwischenprodukt verkauft, nennt man das heute Dienstleistung. Umgekehrt tauft man klassische Dienstleistungen heute täuschend zum Produkt um („Produkt Dienstleistung“ – was für ein Irrsinn!)
Genauso schwerwiegend ist aber der Irrtum, der Taylorismus gehöre der Vergangenheit an. Das Gegenteil ist richtig, wenn man weiß, was Taylorismus eigentlich bedeutet: Nicht die Einführung der Massenproduktion am Band war das Werk von Taylor, sondern die „wissenschaftliche Arbeitsorganisation“, die systematische Zerlegung vormalig integrierter, sozusagen ganzheitlich handwerklicher Tätigkeiten, in funktional aufgegliederte Teiltätigkeiten. Dass sich diese seriell am Band wieder zusammensetzten, war historisch der Schlachthoftechnik, schließlich den Fortfabriken geschuldet. Was dann später als „Gruppenarbeit“ zustande kam, also die Neuzusammensetzung der Teiltätigkeiten in funktional aufeinander bezogenen Teams war passgenau das, was Taylor mit der Arbeitsprozessanalyse einführte. Und seit über zwanzig Jahre befinden sich so gut wie alle Produktions- und auch Vertriebs- und Handelszweige in einer fulminanten Neuorganisation, deren Prinzipien zu Strukturprinzipien ganzer Konzernketten geworden sind.
Diese werden gleichermaßen ausgerichtet an den Marktsegmenten der Unternehmen, wie sie im Innern der Unternehmen dazu dienen, interne Märkte und Marktbeziehungen herzustellen.
Bin ich nun abgeschweift? Ja und nein, doch diesen großen Bogen zu schlagen, ist erforderlich, um zu begreifen, wie die „kreativen Zonen“ der Medienwirtschaft, vor allem aber der Journalismus dort regelrecht eingekesselt beziehungsweise eingehegt werden von sogenannten Workflow-Optimierungen. Die Zeitungsverlage sind davon besonders betroffen. Die enorme Beschleunigung in der Umstrukturierung der Verlage – die Sendeanstalten sind da teilweise voran gegangen, teilweise folgen sie den Zeitungsverlagen – hat damit zu tun, dass man sich im Gefolge des Kriseneinbruchs 2001 nicht mehr begnügen konnte mit dem, was ich Dumdum-BWL nenne: Arbeitsplätze abbauen, Personalkosten einfach durch Stellenabbau senken. Was damit noch nicht erledigt ist, das sind die Prozesskosten, das ist das, was innerbetrieblich und im Unternehmen Overheadkosten erzeugt.
In einigen Unternehmen hat man dies bereits Anfang der 1990er Jahre
begonnen, zunächst in den technischen Bereichen, dann im traditionell
kaufmännischen und schließlich auch Verwaltungsbereich.
Wie kommen nun die Redaktion und deren Gesamtkosten in den Fokus der
Unternehmensleitungen?
Dies lässt sich am besten an einer Tabelle erläutern, die – darin habe
ich schon Erfahrung – immer wieder zu heller Empörung unter
Journalistinnen und Journalisten führt. Es sind nämlich die Anteile der
Redaktion an den Gesamtkosten eines Verlages. Dies ist die
Kostenaufstellung für das Jahr 2005:
Nun hat man es als Unternehmen mit der Dynamik der Kosten zu tun,
also wird man darauf achten, wie sich die Kosten auf die Dauer
entwickeln, wo Kosten besonders gesenkt wurden und wo Steigerungen
drohen. Dazu dieselbe Tabelle, aber über die vergangenen Jahre
hinweg:
2000 | 2001 | 2002 | 2003 | 2004 | |
Herstellung | 36,6 | 32,8 | 29,6 | 28,7 | 28,2 |
Vertrieb | 20,6 | 20,5 | 22,0 | 22,2 | 22,9 |
Anzeigen | 14,0 | 15,1 | 15,7 | 15,8 | 15,7 |
Verwaltung | 7,3 | 8,1 | 8,3 | 8,2 | 8,1 |
Redaktion | 21,6 | 23,5 | 24,4 | 25,1 | 25,1 |
(Herstellung inkl. Papierpreise)
Diese Tabelle ist einerseits vielsagend, andererseits birgt sie auch
ein wohl gehütetes Geheimnis. Um es in der Sprache der Philosophie zu
sagen: Sie verdeckt, indem sie aufdeckt. Was deckt sie auf? Was
verdeckt sie? Zunächst einmal deckt sie auf, wie enorm hoch noch immer
der Anteil technischer Rationalisierung in diesem spezifischen
Wirtschaftszweig ist. Dieser wird, rein technologisch bedingt, durch
die derzeit laufen Investitionswellen eher noch wachsen.
Gleichzeitig deckt die Tabelle auf, dass die Kostenanteile der
Redaktion wachsen.
Aber was verdeckt sie? Natürlich verdeckt sie das Gesamtvolumen der Einsparungen, in absoluten Zahlen. Wachstum von Kostenanteilen heißt ja nicht, dass diese Kosten gewachsen sind, nur deren Anteile am Gesamtkostenvolumen.
Immerhin, einem Unternehmer reicht schon die relationale Rechnung. Und genau deshalb sind die Redaktionen in den Fokus der Rationalisierungslogik geraten.
Stellenabbau und Honorarkürzungen allein reichen nicht aus, das wäre Produktivitätssteigerung nur mit negativen Zahlen. Eine Rationalisierung im vollen Sinne ist dies nicht. Während sowohl im technischen als auch im kaufmännischen und Verwaltungsbereich noch immer hohe technische Rationalisierungspotenziale vorhanden sind, ist dies bei Redaktionen nicht der Fall.
Genau hier schlägt dann zu Buche, dass Redaktionen eben „nicht nur“ Produktionseinheiten sind wie andere auch. Sie sind im Übrigen auch nicht „nur“ kreativ wie andere kreative Bereiche. Aber worauf bezieht sich eigentlich die Kreativität der Redaktion? Und dies ist nun die Schlüssel- oder Gretchenfrage, weil es zum Knackpunkt von allem wird, was im gesamten Kontext von klassischen und neuen Medien den Journalismus grundlegend verändert beziehungsweise mit grundlegend veränderten Bedingungen konfrontiert.
Nehmen wir einmal wieder das Beispiel der Journalistin im Printbereich, so hat ihre Kreativität mit zwei unterschiedlichen Produkten zu tun. Als Journalistin produziert sie einen Artikel, und wenn sie eine Freie ist, ist dies das Werk, das sie dem Werkvertrag nach dem Verlag schuldet. Als Redakteurin aber produziert sie – mit anderen zusammen – eine Zeitung oder eine Zeitschrift, das Blatt. In einem mindestens so anspruchsvollen Genre sind dies mehrfach unterschiedene Berufe und Berufsbilder. Ich meine die Herstellung von Büchern. Hier ist die Autorin einzig kreativ mit der Herstellung des Textes beschäftigt, es kommt noch das Lektorat hinzu. Aber – und das verweist schon auf die neuen Redaktionsmodelle, auf die ich im Weiteren noch genauer eingehen wird – aber auch die Lektorin ist in den meisten Publikumsverlagen nicht einfach eine Art Schlussredakteurin oder Textbearbeiterin. In großer Zahl ist die eigentliche Textarbeit des Lektorats schon längst an freie Lektorinnen und Lektoren ausgelagert, während das Verlagslektorat gleichzeitig Projektmanagement – bezogen auf den einzelnen Titel – und Teil der Programmredaktion – bezogen auf das Verlagsprogramm – ist.
Hier verändert sich auch die Optik von Freien und Festen
grundlegend. Wenn nunmehr systematisch und systemisch unterschieden
wird zwischen „Schaffen“ und „Machen“, etwa zwischen Schreibenden und
Blattmachern, dann geht es nicht mehr darum, Arbeit auch in andere
Vertragsformen auszulagern, sondern dann ist eine wesentliche Funktion
– als Arbeit – komplett „draußen“. Wie es sich nun mit diesem „Drinnen“
und „Draußen“ verhält und was sich jeweils in diesem Drinnen und
Draußen abspielt, das ist nun im nächsten Schritt zu klären.
Mit der Redaktion verhält es sich unter Gesichtspunkten einer neuen Arbeitsteilung und Neuzusammensetzung journalistischer Arbeit nach funktionalen Gesichtspunkten nicht anders als mit anderen Betriebsbereichen. Auch hier ist die Kernfrage immer die: Wie sichere ich im eigenen Betrieb, im eigenen Bereich alle Kernkompetenzen über die Abläufe, die hier – sozusagen als Knoten eines Netzwerkes – zusammenlaufen? Dies ist das A und O einer an Produktionssicherheit und Qualitätssicherung ausgerichteten Arbeits- und Betriebsorganisation.
Und man weiß, wie viele Fehler man hier machen kann. Vormals so genannte Kernprozesse – so sie eben zur Produktion des Endproduktes gehören – können nur ausgegliedert werden, wenn das Wissen über diese Prozesse (fachliches, technisches, ökonomisches Wissen) „im Hause“ bleibt.
Ich nenne hier wieder das Beispiel des Büchermachens, weil es in „kreativer“ Hinsicht das avancierteste Beispiel überhaupt ist: Es gibt – Konzernsynergien nutzende – Qualitätsverlage mit hoch anspruchsvollem literarischen Portfolio, die über nicht viel mehr als 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen. Was aber müssen diese können, müssen sie wissen? Sie müssen Hersteller sein, auch wenn es im Hause keine Hersteller mehr gibt, sie müssen Spezialkenntnisse im Buchdruck, sowohl technisch als auch ökonomisch, besitzen. Sie müssen natürlich hervorragende Lektorinnen und Lektoren in ihrem Fach sein, auch wenn die Lektoratsarbeit am Text nicht mehr im Hause stattfindet. Es müssen also alle Kernkompetenzen in Sachen Herstellung und Vertrieb und so weiter gesichert sein, um Qualitätssicherung zu gewährleisten.
Diese Logik, auf eine Zeitschrift übertragen, heißt letztlich: Ein Verlag, der eine Zeitschrift herausbringt, braucht in dieser Logik gar keine Redaktion, er braucht lediglich redaktionelle Kernkompetenzen. Ich erinnere hier an das, was ich über die Ökonomie des Journalismus gesagt habe: In redaktioneller Hinsicht ist – so ja die Philosophie marktzentrierter Betriebe – der Verlag Kunde der Redaktion.
Wobei die Redaktion neben dem Blatt – Zeitung oder Zeitschrift oder auch eine Sendung – einen materiell erheblichen Wert mitliefert: Publikum. Die Redaktion hat es mit Lesern oder Hörern zu tun, nicht mit Käufern. Die Redaktion schafft maßgeblich Reichweite, Quote, aber nicht Auflage! Diese Logik oder Neuzuordnung von Redaktion und Verlag oder Redaktion und Sender muss man im Hintergrund haben, um die Dynamik, die in neuen Redaktionsmodellen steckt, zu erkennen.
Kern der neuen Redaktionsmodelle ist ein gar nicht mal so neues Prinzip. Dieses folgt nur einem einzigen Grundsatz, und wenn man diesen begriffen hat, ergibt sich das Eine aus dem Anderen. Der Grundsatz besteht in nichts weiterem als der systematischen Trennung von Blatt- oder Objektmachen und Schreiben beziehungsweise Sprechen. Verbunden wird das zugehörige Redaktionsmodell in der Zeitungsbranche mit dem Titel Newsdesk. Ob alles, was unter diesem Titel läuft, auch dem Modell entspricht, ist hier nicht so wesentlich. Woraus es besteht, zeigt das einfache Schaubild:
Hieran ist vor allem eines wichtig: Neben der recht geschlossenen Einheit namens „Newsdesk“, also dem Kreis der Blattmacher, die ressortübergreifend tatsächlich an einem oder aber gemeinsam an mehreren Tischen sitzen, ist die Schnittstellendefinition von Bedeutung. Es gibt nur eine Input-Schnittstelle und eine Output-Schnittstelle. Input heißt hier: durch diese Schnittstelle kommen die Inhalte, eben: „Content“, hinein. Durch die Outputschnittstelle geht das Gesamtprodukt aus der Redaktion – im Falle von Tageszeitungen eben die Seiten.
Was ist daran so revolutionär? Die Antwort ist simpel: Die
redaktionelle Arbeit wird zu einem getakteten Fließprozess, Redaktion
ist nichts anderes als die Balance zwischen Textabgabe und Andruck. Und
der Andrucktermin gibt nun in die Gruppe den kompletten Planungsdruck,
der entsprechend auf die „Input“-Lieferanten (Freie wie Feste)
weitergeleitet wird.
Was sind die Effekte gegenüber der früheren Ressortaufteilung,
mitsamt Redaktionskonferenzen, und so weiter?
Es ist schlicht derselbe Effekt, der mit Lean Production erreicht
wurde, und man kann den Newsdesk insofern als klassisch industrielles
Relais begreifen. Im Gesamtkontext der Produktion gliedert diese
Organisationsform die Redaktion komplett ein in den Gesamtablauf
dessen, was als Workflow – sozusagen „getaktet“ durch den Endtermin –
hindurchgeht Auch dies an einem Schaubild verdeutlicht:
Dieses Modell hat eine Konstante und im Weiteren viele Variablen mitsamt vielfältigen Effekten für Kosten und Produktivität. Die Konstante ist die dauerhafte Selbstorganisierung des Newsdesk. Die weiteren Effekte sind variabel – sie können darin bestehen, je nach Organisationsaufwand und Kosten Feste und Freie und im Weiteren auch ganze Dienleistungsunternehmen – nach dem Agenturmodell – via Input-Schnittstelle einzubeziehen.
Was man bereits weiß, ist, dass unter Umständen starke Produktivitätseffekte entstehen. So haben erste Versuche seinerzeit dazu geführt, dass die „festen“ Schreiber, vom Blattmachen entbunden, erheblich produktiver arbeiteten – zu Lasten der Aufträge für Freie. Ebenfalls kann diese Redaktionsorganisation zu fortlaufender Qualitätssicherung beitragen, auch als „permanente Redaktionskonferenz“.
Doch haben sich solche Potenziale in vielen Fällen nach kurzzeitigen Effekten in den Konjunktiv verflüchtigt. Mehr und mehr erweist sich dieses Modell, das ja durchaus gute Möglichkeiten enthält, als höchst effektives Steuerungsinstrument im Sinne industrieller Taktung. Mit dem bemerkenswerten Effekt, dass in einem Seminar mit Betriebsratsmitgliedern aus Druckbereichen und Redaktionen erstmals Redakteurinnen und Drucker eine gemeinsame Forderungslogik für die Produktion entdeckten: Beiden ging es nicht mehr so sehr um die individuelle Arbeitszeit – sondern um: Besetzungsregelungen!
Ginge es also nur um Qualitätssicherung, um bessere Kommunikation
quer durch die Ressorts, also auch um den gemeinsamen Blick aufs ganze
Produkt; und ginge es darum, Kreativität nach Neigung zur Wirkung
kommen zu lassen – dann würden all diese guten Potenziale wahrgenommen
und ausgeschöpft, und es könnte sich vieles Interessante aus solchen
Ansätzen entwickeln lassen. Dass es aber so nicht immer – und vor allem
immer weniger – ist, zeigen die praktischen Erfahrungen.
Nun komme ich zu einem noch anderen Modell, das vom Ausgangspunkt
her scheinbar genau entgegengesetzt zum Newsdesk angelegt ist, aber zu
ähnlichen und sogar weiter reichenden Effekten führt. Streng genommen
ist damit auch gar keine Alternative gesetzt, sondern bloß ein weiterer
Zusammenhang aufgemacht.
Und der greift nun wirklich über in die neue Multimedialandschaft. Gemeint ist der Ansatz, wie er hier in Berlin bei Axel Springer entwickelt wurde.
Dabei ist eines von Bedeutung: Axel Springer hat bekanntlich den Weg genommen, zwei in ihrer Anlage und Ausrichtung gänzlich unterschiedliche Redaktionen – „Welt“ und „Berliner Morgenpost“ zusammenzulegen. Während bei einem Standalone-Objekt das Newsdesk-Modell zu einer Aufhebung der Ressortgrenzen führt, basiert das Berliner Modell von Axel Springer genau umgekehrt auf der Aufhebung der Redaktionsgrenzen bei Beibehaltung der Ressorts. Im Schaubild verdeutlicht das in etwa so:
Nun hat man, unter dem Titel „multimediale Redaktionsinhalte“, bei
Axel Springer einen weiteren Schritt gemacht, dem weitere folgen werden
– nicht nur bei Axel Springer. Wir werden darüber im Detail mehr hören.
Hier geht es mir lediglich um die Einordnung in das bislang Gesagte.
Der bei Axel Springer so genannte „Newsroom“ – den es übrigens ähnlich
auch in Sendeanstalten gibt – ist eine Art Themen- und
Nachrichtenzentrale, in der Themen für verschiedene Medien,
Print, Podcast usw. vergeben werden. Was ist für Print, was ist für
Video, dem nächst auch Fernsehen, was ist für Online und damit alles
zusammen interessant?
Man erkennt hier einige Züge der Newsdesk-Philosophie wieder, wobei hier auch deutlich wird, wie vielfältig die Grundmodelle miteinander verkoppelt werden können.
Auch hier – wie bei allen Modellen solcher Art – ist vieles an gutem
Neuem denkbar. Ein multimedialer Newsroom, sozusagen als Kommandobrücke
klassischer und neuer Medien, kann zu einer höchst effektiven
Zusammenfassung vielfältiger Aufbereitung werden. Darin enthalten sind
aber wiederum zwei gefährliche Tendenzen: Die eine habe ich bereits als
Aufbereitungs- und Verbreitungsvielfalt identischer Inhalte benannt.
Die andere Tendenz greift über auf das
Feld der Qualifikation – und letztlich die Qualität.
In karikaturhafter, aber leider durchaus gelebter Verwirklichung kennen wir dieses Gefährdungspotenzial genau dort, wo man dem Beispiel des fotografierenden Textjournalisten nun den Textjournalisten mit Videokamera folgen lässt. Und, das ist keine Karikatur, das ist ein wirklicher Fall: Auf die Frage, wie denn die Fotos für die Printausgabe zustande kommen würden, gab es die Antwort: „Dafür nehmen wir Standbilder vom Film.“
Da die praktischen Erfahrungen, damit auch Auswertungen durch Praktiker, hier nachher noch ausführlich Thema sein werden, möchte ich mich hier wieder auf die eher grundlegenden Veränderungen in publizistischer Hinsicht konzentrieren.
Der Projekttitel aus dem Hause Axel Springer – „medienkonvergente
Redaktionsinhalte“ – greift ja viel weiter als das eigentliche Projekt.
Hier kommt nun, aber gänzlich anders, als dies noch vor wenigen Jahren
der Fall war, das Web und Internet als Plattform ins Spiel. Wenn ich
wieder anknüpfe an dem, was ich ganz zu Anfang gesagt habe, dem
Wesentlichen des Internets und Webs – dass es eher eine Plattform oder
ein Verbreitungsweg von Medieninhalten ist, dann ergibt sich eine ganz
eigene Logik für die publizistischen Inhalte: Diese werden von der
Weblogik aus gesteuert. Das Web selber ist letztlich dann eine
Metaebene, von der aus alle Medieninhalte und ihr Vertrieb gedacht
werden.
Alle Praktikerinnen und Praktiker aus größeren Medienunternehmen können
dies leicht anhand der Entwicklung der jüngsten Zeit nachvollziehen –
wie nämlich Online-Redaktionen aus bloßen Anhängseln zu publizistischen
Steuerungszentren werden. Nicht ob etwas auch online gestellt wird,
wird dann in Zukunft die Frage sein, sondern ob das, was von
vorneherein multimedial aufgegriffen wird, auch für Print oder
Fernsehen oder Podcasts geeignet ist. Dies ist, in der bekannten
Ambivalenz solcher Fortschritte, eine nachgerade revolutionäre
Erfahrung mit unglaublichen Möglichkeiten für publizistische Inhalte.
Und es ist – eben in derselben Ambivalenz – das Einfallstor für die
Kommerzialisierung erst der Informationszugänge und schließlich der
Information selber.
Eine der größten Gefahren für die journalistische Publizistik liegt hier vor allem in der mangelnden Trennschärfe, denn ein Link ist ein Link ist ein Link ist ein Link...
Und diese Trennschärfe ist nur dann zu gewährleisten, wenn – worum
hart gekämpft werden muss – das radikale Durcheinander im Web nicht
rückwirkt auf die klassischen Medien als immer noch entscheidendenden
Content- Produktionsstätten. Wenn über den Newsdesks weitere Newsdesks
und über diesen nicht nur ein Newsroom, sondern über diesem ein
weiterer liegt – wer will am Ende verhindern, dass auf der obersten
Metaebene nur noch Zielgruppen angesteuert werden, denen man auf dem
Weg des sogenannten Werbe- Targeting folgt und entsprechende
journalistische Inhalte „postet“ – übrigens dann auch in den
klassischen Medien, sozusagen „programmbegleitend“?
Dies habe ich, sozusagen als negative Utopie einer Multimedialandschaft mit „medienkonvergenten Redaktionsinhalten“, in folgendes Schaubild gebracht:
Es ist, in journalistischer Hinsicht, eine negative Utopie. Aber auf der Suche nach den neuen Marktplätzen für neue Märkte oder neue Markt- und Kundenbeziehungen ist dies gar keine negative Utopie, sondern in ökonomischer Hinsicht eine Variante unter anderen Varianten weitgreifender Unternehmensstrategien.
An dieser Stelle komme ich noch einmal zurück zu meinen Hinweisen
auf die spezifische Ökonomie der Redaktionen und des Journalismus
insgesamt: Dass Redaktionen in ökonomischer Hinsicht Reichweite
produzieren und damit Publika schaffen, die für andere Verwertung
nachgerade geldwert sind – das ist keineswegs neu, es war und ist schon
lange auf dem Markt der Special Interest Periodika ein Selbstgänger.
Nunmehr aber, in der Koppelung aller Medienverbreitungswege und vor
allem durch die höchst dynamischen „Kundenbeziehungen“ via Web, bricht
hier die Quotenlogik massiv in Bereiche, die davon bislang eher noch
verschont waren, ein.
Damit bin ich beim Letzten und sicherlich Wichtigsten meiner Ausführungen angelangt, und das ist: der Beruf und die Berufung der Journalistinnen und Journalisten.
Die Schlussfolgerungen fallen unterschiedlich aus, sofern man zwischen den publizistischen Potenzialen einerseits und den Qualitätsgefährdungen andererseits unterscheidet. Um mit den Letztern anzufangen – hier hat sich grundsätzlich am Berufsbild überhaupt nichts zu ändern! Oder anders, die fatalen Änderungen des Berufsbild der vergangenen Zeit haben sich zu ändern – und dies durchaus und durchweg in höchst konservativer Manier: zurück zu den Grundsätzen publizistischer Sorgfalt, zurück zu den Grundsätzen von Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit.
Dies gilt gleichermaßen gegenüber den inhaltlichen Verwischungen zwischen Entertainment und journalistischer Information wie gegenüber teils schleichender, teils schon offener Verbindung von Journalismus, PR und Werbung. Diese Grundsätze, im Übrigen ja auch die Forderungen nach Selbstkontrolle und Selbstregulierung, waren noch nie auf technische oder Gattungsgrenzen begrenzt.
Sie sind aber, und das macht das Szenario einer verselbständigten Ökonomie des Journalismus aus, insbesondere dort gefährdet, wo Freie und Selbstständige gleichermaßen wie ganze Redaktionen oder Redaktionseinheiten einem Selbstökonomisierungsdruck ausgesetzt werden. Denn natürlich ist eine Redaktion, die integraler Bestandteil des Unternehmens bleibt, bei aller Abhängigkeit allein in Arbeitnehmerperspektive durchsetzungsfähiger als eine auf dem Markt frei operierende Redaktionsgesellschaft.
Auf Dauer kann man den Dienst an der Öffentlichkeit – und damit hat es der Journalismus zu tun – nicht durch eine Ökonomie von Buy-out und Prekarisierung sicher stellen. Das umso weniger, wie mit der Vervielfachung der Verbreitungswege die Mehrfachverwertung den Hunger nach „Buy-out“-Verträhgen auf Seiten der Unternehmen schier unendlich werden lässt. So stehen beispielsweise den ja den durchaus interessanten Innovationen im Hause Axel Springer die Abkaufgeschäfte mit Urhebern gegenüber. Ähnliches erleben wir bei Sendeanstalten.
Hier haben wir, allein der „Berufung“ wegen, nichts von dem zurückzunehmen, was wir als Journalistinnen- und Journalistenunion und als ver.di immer gefordert haben. Wir haben aber unbedingt zurückzunehmen, was wir bislang schon an die Medienunternehmen verloren haben.
Wenn ich gesagt habe, in Bezug auf die Qualitätsgefährdungen gebe es eigentlich nichts Neues festzuhalten, dann gilt das aber für die publizistischen Potenziale in keiner Weise. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Kürzlich, bei der Besichtigung des „Newsrooms“ des Saarländischen Rundfunks, konnten Personalräte anderer Rundfunkanstalten erfahren, wie bereits heute dort, beim Saarländischen Rundfunk, zu bestimmten Ereignissen Reporter unterwegs sind, die dies für Hörfunk und für das Fernsehen tun. Dies geschieht nicht nach Anordnung, sondern nach Neigung und Qualifikation. Denn die Volontärsausbildung ist dort bereits multimedial strukturiert.
Für die Journalistinnen- und Journalistenausbildung ist dies natürlich ebenfalls zentral, es kommt aber auch darauf an genau hinzuschauen, um welche Qualifikationen und welche Qualität es hierbei eigentlich geht. Gerade im Online-Bereich hat man seinerzeit hier eine interessante Erfahrung machen können – das war noch vor dem Crash 2000. Seinerzeit wurden Menschen wie ich darüber aufgeklärt, dass die alten Gattungsgrenzen – Text, Bild und so weiter – alle überholt wären. Überhaupt seien die alten Medienberufsbilder schon von ihrer Anlage her überholt. Überhaupt war alles überholt, weil multimedial ja alles überholt war. Und so weiter und so fort. Nur zwei Jahre später suchten dieselben Firmen aber: Grafiker, Textjournalisten, Techniker, Salesmen und so weiter – die klassische alte, sowohl redaktionelle wie kaufmännische und technische Arbeitsteilung funktionierte wieder. Und erstmals, das war Ende der 1990er Jahre, war auch das Thema Journalistenausbildung alles andere als „überholt“ – mehrere Großverlage planten damals einen Journalistenschule für Online-Journalisten.
Aber dieser Plan versank dann mit anderen guten Ansätzen im NewMedia-Crash.
Nun hat man dies alles Gottlob hinter sich gelassen, und doch nahen sich die wankenden Gestalten wieder. Und je näher sie kommen, desto deutlicher erkennt man sie wieder: die „eierlegende Wollmilchsau“. Einer soll alles können, Totalkünstler fürs Gesamtkunstwerk sein. Bildwissenschaftler und die Neurowissenschaften wissen aber etwas anderes zu erzählen: nicht nur dass 80 Prozent des menschlichen Hirns für Bilder, aber nur 20 Prozent für Wort und Text reserviert sind; sondern dass die Fähigkeiten der Menschen in dieser Hinsicht auch sehr ungleich verteilt sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir neben der Frage publizistischer Qualitätsgrundsätze in Zukunft die Scharlatane im Journalismus auch daran identifizieren können: dass sie behaupten, alle könnten alles und das zur selben Zeit. Richtig aber ist, dass sich neben diesen Konstanten von angeborenen und früh entwickelten Fähigkeiten die Berufsausbildung – ähnlich wie andere Medienberufe – einen wesentlich integrierenderen Rahmen braucht.
Wenn man also publizistische Grundsätze so früh und so nachhaltig auch in ein gutes handwerkliches Verständnis aller Mediengattungen einbringt, dann wird es ein gutes Verständnis für gute Arbeit auf allen Plattformen und in allen Gattungen geben. Insoweit können wir nur Bereicherungen des journalistischen Berufsbildes erwarten – sofern die Gefährdungen abgewiesen werden.
Letzteres aber bedeutet Kampf, bedeutet mehr als nur Verteidigung
von irgendetwas, das in irgendwelchen Grundsatzpapieren steht. Der
Kampf um die Sicherung publizistischer Qualität verbindet sich
unmittelbar mit dem Kampf gegen unternehmerische Selbstökonomisierung –
in diesem Fall dann erstmals von Freien und Festen. Dieser Kampf hat,
das wissen wir als ver.di nur zu gut, keine Chance durch Berufung auf
irgendwelche Privilegien, mit denen Redaktionen
und Journalistinnen und Journalisten mal vor Urzeiten von Verlegern
ausgestattet wurden. Dieser Kampf um gute Publizistik ist Teil vieler
Anstrengungen um gute Arbeit: Und das ist unser ureigensten Terrain.
Hier geht es um Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit und darin und daneben
Mußezeit. Hier geht es vor allem auch um Mitbestimmung. Denn nie war –
angesichts der Potenziale wie der Gefährdungen von Qualitätspublizistik
– die publizistische Mitbestimmung so wichtig wie heute. Morgen wird
sie noch wichtiger sein denn je.
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