Letztes Gefecht gegen den Mindestlohn
Ein denkwürdiges Interview auf der Wirtschaftsseite von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten: Geschäftsführer Ehlers lässt es kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes noch mal richtig gegen Lohnuntergrenze und Gewerkschaften krachen, kündigt zum Jahreswechsel eine nicht konkret benannte Preiserhöhung an – und nebenbei wird der fragende Journalist zum Souffleur.
Jahrzehnte waren sie mit den niedrigsten Löhnen das letzte Rad am Wagen der Verlage, nun sind die Zustellungszusteller ein Politikum. Mit Einführung des Mindestlohns hat Thomas Ehlers, Geschäftsführer der Ostsee-Zeitung (OZ), „die große Sorge, dass in dünn besiedelten Gebieten ... eine wirtschaftliche Zustellung der Tageszeitung nicht mehr möglich sein wird“. Das in dem Rostocker Blatt und der Schwesterzeitung Lübecker Nachrichten (LN) veröffentlichte Interview hat vor allem einen Zweck: die Leser auf eine wohl kräftige Preiserhöhung einzustimmen, deren Höhe der Chef (noch) nicht verrät.
Die Sünden der Vergangenheit kommen die Verlage nun teuer zu stehen – in Form „eines dramatischen Anstiegs der Lohnkosten“, wie Ehlers beklagt. Das wirkt auf den ersten Blick erstaunlich, ist die Politik der Verlegerlobby doch wie kaum einer anderen Branche entgegengekommen – mit einer zweijährigen Übergangsregelung, die 2015 noch Löhne von 6,38 Euro und 2016 von 7,23 Euro zulässt.
Dass das aus Sicht des Geschäftsführers „überhaupt nicht entlastet“, lässt tief blicken, zu welchen Konditionen Zusteller bisher im Norden gearbeitet haben. Und es erklärt auch, warum die Verlage jetzt tatsächlich ein Problem haben – gerade in Flächenländern wie Mecklenburg-Vorpommern, wo Briefkästen schon mal ziemlich weit auseinanderliegen. Die Mehrkosten, die Ehlers den Lesern seiner Blätter nicht verrät, dürften sich für die rund 2500 Zusteller von Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten im Millionenbereich bewegen – auch deswegen, weil Zeitungsboten, die „nebenbei“ noch Sendungen für den hauseigenen Postdienst „Nordbrief“ verteilen müssen, sofort Anspruch auf den Mindestlohn haben. Das dürfte die bisher gute Rendite (zuletzt allein bei der OZ 7,2 Millionen Euro) deutlich schmälern – führt jedoch mitnichten schnurstracks in die roten Zahlen.
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Kollateralschäden sind auf jeden Fall beim Journalismus zu beklagen,
wenn in dem Interview der Redakteur zum Souffleur wird: „Erweist der
Mindestlohn nicht gerade einer sozial schwächeren Bevölkerungsschicht,
die auf jeden Euro Einkommen angewiesen ist, einen Bärendienst, dann
nämlich, wenn aus Kostengründen Arbeitsplätze wegfallen müssen?“ Ehlers
verwandelt die Steilvorlage mit eigener Logik: Zeitungszustellung sei
nur ein Zusatzeinkommen – zu einer Tageszeit, „in der sonst nicht
gearbeitet wird“. Da wären die „200, 300, 400 Euro monatlich“ doch eine
gute Sache.
Ganz so heil kann die Welt bisher nicht gewesen sein. Den Verlage im
Norden gehen schon länger die Zusteller aus, weil sich viele die
nächtliche Plackerei für so wenig Geld nicht mehr antun wollen. Was
intern inzwischen auch offen eingestanden wird. In einem
Mitarbeiter-Magazin der Lübecker Nachrichten erklärt dies ein Leiter mit
niedrigeren Arbeitslosenzahlen und dem damit einhergehenden
„Motivationsschwund“ bei jüngeren Zustellern. Nun starten die Lübecker
ein Pilotprojekt mit Vollzeitkräften, denen im Gegensatz zur bisherigen
Praxis Dienstfahrzeuge zur Verfügung gestellt werden sollen.
Andere
Verlage wie der „Nordkurier“ waren schneller und verkauften das Fügen
ins Unvermeidliche cleverer. Bereits im August kündigte das
Neubrandenburger Blatt einen „Komplettumbau“ seiner Vertriebslogistik an
und erklärte seinen Lesern, man werde 600 Vollzeitjobs mit dem neuen
Mindestlohn für Zusteller schaffen. Die träten an die Stelle „von 1500
Rentnern, Hartz IV-Aufstockern sowie Mini- und Midi-Jobbern“.
Ob
die Realität den vollmundigen Erklärungen standhält, bleibt abzuwarten.
Bisher fuhr der Nordkurier beim Umgang mit seinen Beschäftigten einen
ganz besonders rigiden Kurs, während OZ und LN wenigstens ihren
Stammbelegschaften noch Tarifgehälter und vergleichsweise gute
Arbeitsbedingungen bieten. Beim hauseigenen Briefdienst und den
Zustellern sieht es in Rostock jedoch ganz anders aus. Betriebsräte
geschweige denn Tariflöhne konnten die Beschäftigten dort bisher nicht
mal in ihren kühnsten Träumen erwarten.
Dies entspricht auch der
Politik des bundesdeutschen Zeitungsverlegerverbandes. Der hatte im
Vorfeld der Einführung des Mindestlohns dem Angebot der Gewerkschaft
ver.di zu Tarifverhandlungen mit dem Ziel einer Übergangslösung eine
strikte Abfuhr erteilt.
So gesehen, endet das Interview im
Wirtschaftsteil der OZ – als solches schon ein starkes Argument für die
von der Initiative „Qualität und Vielfalt sichern“ geforderte innere
Pressefreiheit – mit einer netten Pointe. Frage des Reporters zum Thema
Mindestlohn: „Wird Lohngestaltung damit zum Spielball der Politik?“ Ja,
lautet die Antwort: „Wir sind sehr überrascht, dass die Gewerkschaften
sich dieses Feld haben nehmen lassen und nicht als Tarifpartner
aufgetreten sind.“ Eine journalistisch gebotene Nachfrage, um diese
offenbar unrichtige Aussage einzuordnen, war in dem Rühr-Stück freilich
nicht vorgesehen.