Große Koalition würgt Debatte über Tarifflucht bei Medien ab
Eine Stunde lang liefert sich der Schweriner Landtag eine teils hitzige Debatte über die Situation der Tageszeitungen in Mecklenburg-Vorpommern – über Tarifflucht, zunehmend schlechtere Arbeitsbedingungen von Journalisten und Verlagsmitarbeitern und die seit 2011 von der Regierungskoalition auf die lange Bank geschobene Überarbeitung des Landespressegesetzes. Am Ende lassen SPD und CDU die Linke mit ihren Vorschlägen auflaufen, lehnen selbst eine Überweisung des Themas in den für Medienfragen zuständigen Innenausschuss ab.
„Schaufenster-Antrag, „Polemik“, „SPD-Bashing“. Jochen Schulte, wirtschaftspolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Landtagsfraktion, keilt kräftig zurück, als seine Partei von der Linken für den Tarifausstieg bei der Ostsee-Zeitung (OZ) mitverantwortlich gemacht wird: Es passe nicht zusammen, wenn einerseits Ministerpräsidentin Manuela Schwesig sich mit „voller Kraft für die Tarifbindung einsetzen“ wolle und anderseits die SPD-Medienholding ddvg als größter Einzelgesellschafter des OZ-Mutterkonzerns Madsack Tarifflucht befördere, kritisiert die Opposition.
Die linken Abgeordneten Henning Foerster und Eva-Maria Kröger nutzen die Gelegenheit, um der Landesregierung medienpolitisch die Leviten zu lesen. Die schaue dem zunehmenden Verlust von Qualität und Vielfalt bei den Print-Medien tatenlos zu und habe Versprechen wie die im Koalitionsvertrag von 2011 festgeschriebene Überarbeitung des Landespressegesetzes nicht eingehalten.
Nicht nur bei Schweriner Volkszeitung und Nordkurier, sondern zunehmend auch bei der OZ sei die Entwicklung dramatisch, so die medienpolitische Sprecherin der Linken. Stellenabbau, immer stärkere Arbeitsverdichtung, kaum Zeit für journalistische Recherche und entsprechende Mängel bei der Berichterstattung. „Jede Redakteurin, jeder Redakteur muss im Schnitt eine Seite und mehr pro Tag im lokalen Bereich füllen. Und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis kleine Lokalredaktionen geschlossen werden, weil sie nicht in der Lage sind, irgendwelche Zielzahlen aus Hannover zu erfüllen“, so Kröger mit Blick auf die OZ.
Konsequenz: Neben dem Antrag, die Forderungen der gewerkschaftlichen Initiative „Qualität und Vielfalt sichern“ zur Überarbeitung des Landespressegesetzes zeitnah zu prüfen, solle die Landesregierung auch den „Dialog mit der Madsack-Mediengruppe“ zum Thema Tarifbindung suchen und Vorschläge unterbreiten, wie die Regionalzeitungen an der Küste zukunftsfähig gemacht und dabei gegebenenfalls unterstützt werden können.
Dass der Antrag keine Chance hat, macht SPD-Redner Schulte umgehend klar. Er sieht die Parteiholding ddvg zu Unrecht an den Pranger gestellt, denn die sei „leider nur mit 23 Prozent“ an der Madsack-Gruppe beteiligt, und es gebe nun einmal wirtschaftliche Zwänge. Außerdem sei alles gar nicht so schlimm – bereits bestehende Arbeitsverhältnisse würden auch künftig weiter nach Tarif vergütet, der Betriebsrat wäre weiter für die zu neuen Konditionen eingestellten Mitarbeiter zuständig, und in der Perspektive könne es wieder eine andere Lösung geben.
CDU-Redner Wolfgang Waldmüller springt der Madsack-Führung gleichfalls zur Seite und zitiert aus einem Geschäftsbericht des Konzerns, wonach Bundestarife „zunehmend unbezahlbar“ wären und die Gewerkschaften sich mit „überzogenen Forderungen“ notwendigen Reformen verweigert hätten. Es handele sich um Strukturwandel, und der laufe am besten ohne staatliche Intervention und Einmischung in die Tarifautonomie ab.
Laut Linken-Vertreter Foerster scheint es Sozialdemokrat Schulte ganz ähnlich zu sehen. Der habe ihm gegenüber davon gesprochen, dass der Schritt der OZ-Geschäftsleitung in Anbetracht hoher Gehälter der Mitarbeiter verständlich sei. Schulte widerspricht dieser Aussage im Plenum nicht.
Am Ende ziehen SPD und CDU den Stecker, blocken ebenso wie die AfD selbst den Vorschlag ab, den Antrag in den für Medienthemen zuständigen Innenausschuss zu überweisen. Corinna Pfaff, Landesgeschäftsführerin des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), die die Debatte ebenso wie Belegschaftsvertreter der OZ auf der Tribüne verfolgt, ist fassungslos. „Damit ist eine Chance vertan worden, eine wichtige Debatte um die Zukunft eines starken und unabhängigen Journalismus zu führen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von DJV und der Gewerkschaft ver.di.