Die Politik muss handeln, Appelle allein genügen nicht mehr
– deutlich fiel die Mahnung von Medienwissenschaftlern bei der zweiten
Anhörung des Innenausschusses über die Zukunft der Tageszeitungen in
Mecklenburg-Vorpommern aus. Nur die Verlegervertreter sehen weiter
„keinen Handlungsbedarf“.
Drei Verlage, die das Heft fest in der Hand halten – in fast allen Kreisen haben die Leser keine Wahl, denn dort gibt es nur eine Tageszeitung. Die Diagnose der Medienwissenschaftler Horst Röper vom Dortmunder Formatt-Institut und Elke Grittmann von der Universität Hamburg fällt vor dem Innenausschuss des Landtages ernüchternd aus: In Mecklenburg-Vorpommern sei die Pressekonzentration so weit fortgeschritten wie in kaum einem anderen Bundesland. Ein klarer Fall von Marktversagen, und in Verbindung mit der von den Verlagen verfolgten Politik des „Gesundschrumpfens“ eine besonders gefährliche Mixtur. Mit „totalitärem Renditedenken“ werde der Verfallsprozess nur beschleunigt, warnt Elke Grittmann. Wer einseitig auf Rationalisierung setze, verliere mittel- und langfristig das Vertrauen der Leser. „Das Land braucht seine und nicht seichte Zeitungen.“
Bei der dreistündigen Anhörung des Innenausschusses treten die gegensätzlichen Ansichten noch deutlicher zu Tage als bei der ersten Runde im Juli. Auf der einen Seite die Partner der von den Gewerkschaften ins Leben gerufenen Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern“, die den Stein ins Rollen gebracht hat. Auf der anderen die Vertreter der Verlegerseite, deren Position Nordkurier-Geschäftsführer Lutz Schumacher knapp auf den Punkt bringt: „kein Handlungsbedarf“.
Genau den mahnen die Medienwissenschaftler jedoch an. Gut gemeinte
Appelle genügten nicht mehr, die Politik könne und müsse einen Beitrag
leisten, Qualität und Vielfalt zu sichern. Die Stärkung der inneren
Pressefreiheit, etwa durch Redaktionsstatute, wäre ein mögliches und
durchaus praktikables Instrument. „Wir haben mehr als 30
funktionierende Statute bei Zeitungen in Deutschland - das ist nichts
Schlimmes“, versucht Elke Grittmann, eine Brücke zu bauen.
Der Möglichkeiten gebe es noch viel mehr. Vom Ombudsmann, der in skandinavischen Ländern bei den Zeitungen zwischen Lesern und Redaktion vermittelt, bis zur Einrichtung einer „Stiftung Medientest“. Mehr Transparenz schaffen könnten auch erweiterte Pflichten der Verlage, ihre Leser regelmäßig über Besitzverhältnisse und andere wirtschaftlichen Daten zu informieren.
Wie nötig Letzteres ist, führten die Verlegervertreter selbst anschaulich vor Augen. Ihre Antworten auf den 18 Punkte umfassenden Fragenkatalog des Innnenausschuss wollten sie bei der öffentlichen Sitzung nicht vortragen, hatten nur vorab eine schriftliche Stellungnahme übergeben, die offenkundig ziemlich knapp ausgefallen ist.
So vermisst der Abgeordnete Andreas Bluhm Zahlen zum Stellenabbau in den vergangenen Jahren, und erhält von Schumacher wieder keine Antwort: „Dazu wollen wir keine Stellung nehmen“.
Wie dramatisch die Lage in den Verlagen tatsächlich ist, schildert Robert Haberer vom Betriebsrat der Ostsee-Zeitung, der auch für die Kollegen von Nordkurier und Schweriner Volkszeitung spricht. Seit dem Jahr 2000 seien in allen Häusern zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Stellen gestrichen worden. Zugleich hätten die Verlage offenkundig deutlich bessere Renditen erwirtschaftet als andere Branchen.
Die Verleger, die außerdem von Verbandsgeschäftsführer Bernd Röder vertreten werden, haben da eine völlig andere Wahrnehmung. Auf der einen Seite stehen Schilderungen einer angeblich dramatischen wirtschaftlichen Lage mit sinkenden Anzeigen- und stagnierenden Vertriebserlösen, verbunden mit der Klage „dass man sich hier als Wirtschaftsunternehmen rechtfertigen muss“. Auf der anderen Seite die scheinbar heile Welt der Redaktion. „Ich sehe die innere Pressefreiheit in keiner Weise gefährdet“, sagt Schumacher. Ihm sei bewusst, dass „redaktionelle Qualität das A und O ist“. Und da man immer mehr vom „Lesermarkt“ abhängig sei, könne man gar nicht anders als „vernünftige Produkte abzuliefern“.
So gesehen, muss das Blatt am 7. August 2008 einen schwarzen Tag erlebt haben. Von der Redaktion selbst verfasste Berichte über den Rücktritt des langjährigen Ministerpräsidenten Harald Ringstorff suchen Nordkurier-Leser an diesem Tag vergeblich, abgedruckt sind nur Texte der Agenturen DPA und ddp, wie Sibylle Ekat vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) bilanziert. Die Blamage ist um so größer, da die entscheidende Pressekonferenz bereits um 12 Uhr mittags den Medienvertretern in aller Deutlichkeit angekündigt worden war. Schumacher bleibt ungerührt: „Das war die Entscheidung des Chefredakteurs.“
Ernst Heilmann von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft
(ver.di) sieht sich ein weiteres Mal bestätigt: „Die Tendenzen zur
inhaltlichen Verflachung sind nicht zu übersehen. Es gibt Anlass zur
ernsthaften Sorge um die Presse in Mecklenburg-Vorpommern.“ Er
unterstrich in diesem Zusammenhang die Bedeutung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der ein wichtiger Garant für ein
Mindestmaß an Medienvielfalt im Nordosten sei. Daher müsse es dem NDR
auch gestattet bleiben, im Internet aktiv zu sein. „Die Zielgruppen von
morgen gehen heute online – deshalb müssen Presse und Rundfunk
gleichermaßen online an sie herantreten können.“
Wenigstens in einem Punkt waren sich Medienexperten, Arbeitnehmervertreter und Verleger dann doch einig – dass das kontroverse Thema unbedingt in einer wissenschaftlichen, über einen längeren Zeitraum angelegten Studie untersucht werden sollte.