„Wir lassen uns nicht an die Leine (ver-)legen“: OZ-Mitarbeiter demonstrieren für Eigenständigkeit
Das von der Konzern-Zentrale in Hannover verordnete Spar- und Zentralisierungsprogramm „Madsack 2018“ trifft an der Küste auf Widerstand. Mit einer Demonstration vor dem Pressehaus in Rostock machten Beschäftigte der Ostsee-Zeitung ihrem Ärger Luft. Doch auch in der Chef-Etage knirscht es wegen des umstrittenen Konzeptes gehörig. Gerüchte über einen vorzeitigen Abschied von Geschäftsführer Ehlers bewahrheiteten sich aber nicht.
Menschenkette vor dem Rostocker Pressehaus.
„Ganz weit weg ist nie nah dran! Wo wir bald nicht mehr zu Hause sind? Das Programm ,Madsack 2018‘ bedroht Arbeitsplätze und Tarifbindung bei Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten.“ Dutzende Plakate mit diesem Slogan halten die in einer Menschenkette vor dem Rostocker Pressehaus demonstrierenden Redakteure, Verlagsangestellten und Drucker in die Höhe. Alles verbunden mit einer Wäscheleine – dem Symbol für das 339 Kilometer entfernte Hannover. Dahin, so die klare Ansage, wolle man sich nicht auch noch (ver-)legen lassen.
Selbstbewusst artikuliert die Belegschaft von Mecklenburg-Vorpommerns größter Tageszeitung ihre Forderungen gegenüber den am selben Tag konferierenden Gesellschaftern des Mutterblatts Lübecker Nachrichten. Die Mediengruppe Madsack, zu der 18 Titel im Viereck zwischen Rostock, Hannover, Marburg und Leipzig gehören, solle besser auf eine faire Arbeitsteilung zwischen den Standorten bauen statt „Zentralisierung um jeden Preis“ zu betreiben.
Verstecken müsse man sich nicht. Die Ostsee-Zeitung, die bereits 2008 einen Großteil ihrer Mantelredaktion nach Lübeck abgeben musste, steuere etwa ein Viertel des gesamten Konzerngewinns bei. Sparrunden habe es genug gegeben. „Für uns heißt es, um unsere Arbeitsplätze zu kämpfen. Notfalls auch mit Streik.“
Die Botschaft bleibt nicht ohne Wirkung. Vier Stunden nach der Kundgebung bekräftigt die örtliche Geschäftsleitung in einem an alle Beschäftigten verschickten Brief die bereits mehrfach angedeutete Distanz zu dem umstrittenen Programm. „Eine Mitwirkung unsererseits an den Arbeitsgruppen im Rahmen des Projektes ,Madsack 2018' ist nicht vorgesehen.“ Ansonsten freue man sich „auf die weitere Zusammenarbeit“ mit den „lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“.
Die Ostsee-Zeitung ist eine 100-prozentige Tochter der Lübecker
Nachrichten. Diese gehört zu 73 Prozent der Mediengruppe Madsack sowie
der Stiftung des 2006 verstorbenen Herausgebers Jürgen Wessel (24
Prozent) und dem langjährigen LN-Geschäftsführer Günter Semmerow (3
Prozent). Größter Gesellschafter von Madsack, der fünfgrößten
Tageszeitungsgruppe in Deutschland, ist die SPD-Medienholding ddvg.
Mehr dringt aus der Gesellschafterversammlung zunächst nicht nach
draußen, doch hinter den Kulissen hat es in den vergangenen Wochen
offenbar mächtig gekracht. Als das Fachmagazin „Kontakter“ Mitte
November den Abgang des seit 2002 in Lübeck und 2006 in Rostock
amtierenden Geschäftsführers Thomas Ehlers zum
Jahresende vermeldete, schien der Eklat perfekt. Sein Vertrag sei vom
Mehrheitsgesellschafter Madsack nicht
verlängert worden, wusste das Blatt mit Verweis auf nicht näher benannte
„Unternehmenskreise“ zu berichten. Für zusätzliche Irritationen sorgte,
dass die Nachricht weder von der
Mediengruppe in Hannover noch in Rostock oder Lübeck auf Anfrage unter
anderem des NDR-Nordmagazins öffentlich dementiert wurde.
Ob
„Ente“ oder Intrige – den Wirbel um Ehlers erklären Beobachter auch mit
den Misstönen zwischen dem mächtigen Mehrheitsgesellschafter aus
Hannover und den beiden kleineren Anteilseignern aus Lübeck (siehe
Kasten). Während die Niedersachsen unter dem neuen Chef Thomas
Düffert ihre Strategie der totalen Zentralisierung forcieren, pocht der
Norden auf ein Mindestmaß an
Unabhängigkeit. Bereits der Plan , die IT-Abteilungen aller Firmen in Madsacks Gutenberg
Rechenzentrum auszulagern, wurde für Lübeck und Rostock nicht realisiert.
„Madsack
2018“ ist freilich ein anderes Kaliber. Eine Umsetzung des Programms
würde nicht nicht nur das Aus für die redaktionelle Eigenständigkeit des
Lübeck-Rostocker
Zeitungsverbundes bedeuten, sondern die Ausgliederung von vielen
Bereichen in tariffreie Firmen und den Verlust zahlreicher Arbeitsplätze
mit sich bringen. Zur Entwarnung gibt es für die Mitarbeiter keine
Veranlassung. Aufgeschoben ist schließlich noch lange nicht aufgehoben.