Betriebsratsvorsitzender Robert Haberer
„Selbstbewusst in Zeiten der Veränderung. Weil wir hier zu Hause sind.“ So war der Bericht des Betriebsrates überschrieben. „Wir können stolz sein. Auf die Ergebnisse unserer Arbeit in Verlag, Technik und Redaktion: Neue Rotation, Rekordtempo bei der Einführung von Hermes und täglich eine gute Zeitung. Seit 18 Jahren hält unsere Ostsee-Zeitung eine Spitzenposition unter den Blättern in den neuen Bundesländern. Sie braucht auch nicht den Vergleich mit der West-Presse zu scheuen. Und wir können stolz sein auf das, was sich diese Belegschaft in teils harten Auseinandersetzungen in den Jahren errungen hat.“
Mit Blick auf die Entwicklung der vergangenen Monate sieht der Betriebsrat Gefahren für die Zukunft der Ostsee-Zeitung: „Viele erinnern sich sicher noch: ,Von der Sowjetunion lernen, heißt, siegen lernen,‘ wurde dereinst verkündet. Diese Parole ungeprüft übernommen und angewendet, bescherte uns zum Beispiel Rinderoffenställe. Die funktionierten zwar in den Weiten Kasachstans, aber hierzulande erfroren die Kühe in den offenen Verschlägen.
An jene Zeiten fühlt man sich gegenwärtig häufig erinnert, wenn es heißt: „Das machen wir ab jetzt so wie in Lübeck!“ Die neuen Konzepte und Rezepte kommen aus Lübeck und auch die neuen leitenden Mitarbeiter. Und sei es, um uns Ossis nach 15 Jahren endlich einmal zu zeigen, wie man eine „vernünftige“ Zeitung zum Landespresseball macht.
Das ist das Gegenteil von dem, was unser neuer Geschäftsführer bei seinem Amtsantritt vor einem Jahr versprochen hatte: Nämlich einen Prozess, bei dem beide Partner gleichwertig und gleichberechtigt sind. Einen Prozess, bei dem beide Partner von den Erfahrungen des anderen lernen.
In der Realität lautet die Parole: ,Von Lübeck lernen, heißt, siegen lernen!‘
Da wächst zu Recht die Angst, am Ende dieser so genannten Kooperation werde die Übernahme und Abwicklung der Ostsee-Zeitung stehen. Was bleibt? Zehn Lokalredaktionen längs der Küste, die ihren Mantel und auch sonst so ziemlich alles aus Lübeck beziehen? “
Die mehrfach vom Beifall der Anwesenden unterbrochene Rede schloss
mit einem Appell: „Mecklenburg-Vorpommern braucht einen soliden
Journalismus. Zu einer guten Regionalzeitung gehört ein professionell
gemachter Mantel genauso wie gut ausgestattete Lokalredaktionen, fähige
Verlagsmitarbeiter und eine funktionierende Technik vor Ort. Damit das
so bleibt, damit die führende Wirtschaftsregion des Landes, Standort
der Universitäten und Hochschulen ihre Ostsee-Zeitung behält, dafür
werden wir uns einsetzen.“
Ernst Heilmann (ver.di)
Ernst Heilmann (ver.di) informierte die Beschäftigten über die Gefahren, die sich aus dem geplanten Modell zur Bildung von Gemeinschaftsunternehmen für die Eigenständigkeit der Ostsee-Zeitung und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ergeben: „Sollten die neue Gesellschaften einmal in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, dann gäbe es praktisch keine Sicherheiten, die man im Notfall zu Geld machen könnte. Denn alle Sachwerte bleiben in den Alt-Verlagen. Die neuen Firmen sind so genannte „Kosten-Center“. Sie stellen den Alt-Verlagen ihre Dienste in Rechnung.
Die Verhandlungen über die Verträge werden von den Alt-Verlagen bestimmt. Sie können jederzeit sagen „Ab jetzt macht ihr das für 10 Prozent weniger!“.
Denn es steht immer eine Drohung im Raum: Die Aufträge können entzogen und einer anderen Firma übergeben werden. Nur ein Beispiel: In Berlin hat Springer eine Service- und Entwicklungsredaktion gebildet, deren ausdrücklicher Auftrag es ist, regionale Titel des Konzerns zu beliefern.
Und damit sind wir beim vierten Problem: Es entsteht ein Konkurrenzkampf zwischen den Einheiten. Wer gestern noch als Abteilungen in einem Haus zusammen gearbeitet hat, drückt sich morgen gegenseitig in den Kosten.
An zahlreichen Beispielen aus seiner langjährigen Praxis im Springer-Konzern belegte Heilmann, dass diese Gefahren real sind, auch wenn der derzeitige Geschäftsführer anders lautende, mündliche Zusicherungen gebe. „Ich habe immer wieder erlebt, dass die Halbwertzeit solcher Zusicherungen unter Umständen nicht einmal ein paar Wochen beträgt. Es kann jederzeit etwas anderes geplant werden. Durch diesen Geschäftsführer oder einen anderen. Morgen, in einem Jahr oder in zehn Jahren. Und dann ganz schnell realisiert werden.
Hier und jetzt sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um diese Optionen jederzeit Realität werden zu lassen. Und nur hier und jetzt können wir als Beschäftigte Einfluss nehmen, um diese Zukunft in unserem Sinne zu gestalten.
Das ist möglich, wie viele Beispiele zeigen. Es setzt voraus, dass
wir gemeinsam aktiv werden. Jetzt.“
Michael Zumpe (Redaktion)
Dass diese Forderung die Stimmungslage der Beschäftigten trifft,
machte nicht nur der Beifall deutlich, sondern erst recht die von der
Redaktion vorgetragene Resolution. In ihr fordern die Redakteure
demokratische Mitbestimmungsrechte bei der Gestaltung der Zukunft ihrer
Ostsee-Zeitung ein, für die sie - oft seit vielen Jahren - arbeiten.
Sie fühlen sich bei der Umgestaltung, die längst begonnen hat, nicht
einbezogen.
Zwar hat die Geschäftsleitung ein Intranetforum eingerichtet und
informiert auch per Rundschreiben über die hinter verschlossenen Türen
bei Workshops mit Knetmasse und Lego-Bausteinen entwickelten Visionen.
Aber solche Kommunikation genügt eben nicht, um die Beschäftigten
tatsächlich zu Wort kommen zu lassen.
Mit ihrer Forderung nach einem Redaktionsstatut knüpfen die Redakteure an eine Tradition des Hauses an: Schon einmal, nämlich 1990, wurde in Zeiten des Umbruchs ein solches Papier als Leitbild gemeinsam entwickelt. Die Kernsätze sind aktueller denn je: „Leserinteressen zu vertreten, bedeutet für die Zeitung, Heimatzeitung zu sein. Regionalen und lokalen Fragen wird Hauptaugenmerk geschenkt.“
Wir, die Redakteure und Redaktionsmitarbeiter der Ostsee-Zeitung
produzieren gemeinsam mit unseren Kollegen in Verlag und Technik seit
vielen Jahren das beste Blatt im Nordosten.
Nun sollen wir mit den Lübecker Kollegen in eine gemeinsame Zukunft gehen.
Der Umgestaltungsprozess hat längst begonnen, doch wir fühlen uns nicht informiert, nicht vertreten und nicht beteiligt. Das führt zu Unsicherheit und Ängsten, zu schlechter Stimmung, ja sogar zu Demotivation unter den Kollegen.
Wir haben viele Fragen, die uns auf den Nägeln brennen, zum Beispiel
diese:
Welche Bereiche werden der geplanten Chefredaktion Regional/Lokal zugeordnet?
Welche Bereiche gehören künftig zur gemeinsamen Mantelredaktion?
Wie viele und welche Kollegen müssen ihren Arbeitsplatz wechseln?
Wer arbeitet in Zukunft wo und in welchem Bereich?
Was passiert mit den „Übriggebliebenen“?
Geht es wirklich ohne Kündigungen?
Wer trifft die Entscheidungen über die inhaltliche Ausrichtung?
Wer erschließt und archiviert künftig die Ostsee-Zeitung?
Welche Seiten sollen zentral für beide Titel erstellt werden?
Wie werden die künftigen Firmen gegen wirtschaftliche Schwierigkeiten abgesichert?
Wird es weiter einen eigenständigen Online-Auftritt der Ostsee-Zeitung geben? Wer gestaltet und verantwortet diesen?
Welcher Betriebsrat wird künftig unsere Interessen vertreten?
Wie soll der Bereich Sonderthemen-Redaktion gestaltet werden?
Wie und mit welcher Besetzung wird die Arbeit am Newsdesk organisiert?
Wie sehen die künftige Struktur und das Profil der Ostsee-Zeitung aus?
Wie erhalten wir unsere Kompetenz in Jugend- und Veranstaltungsthemen (OZelot)?
Wie bewahren wir eine eigenständige, regional ausgerichtete Beilage?
Wie soll die Zusammenarbeit zwischen den Chefredaktionen aussehen?
Wie sichern wir künftig eine qualifizierte regionale Berichterstattung über Sport, Ratgeber- und Service-Themen, Kultur, Wirtschaft und Politik aus Mecklenburg-Vorpommern?
Wie bewahren wir das typische Gesicht der Ostsee-Zeitung (Layout)?
Ähnliche Fragen haben auch unsere Kollegen in den anderen Verlagsbereichen, mit denen wir täglich zusammenarbeiten. Auch sie müssen die Veränderungen mit gestalten können.
Wir wollen uns in diesen Prozess mit unserer fachlichen und regionalen Kompetenz einbringen. Das Intranet ist dafür nicht der richtige Platz. Lassen Sie uns miteinander sprechen.
Wir bieten Mitwirkung an und fordern sie ein. Dazu wollen wir geeignete Formen vereinbaren. Das könnten zum Beispiel ein Redaktionsstatut/eine Redakteursvertretung sein.
Wir bringen uns aktiv ein. Weil wir hier zu Hause sind!
Und weil wir hier zu Hause bleiben wollen!