Ernst Heilmann, ver.di-Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern.
Sehr geehrter Herr Vorsitzender,
verehrte Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor zweieinhalb Jahren hat der Innenausschuss zuletzt die Situation der Tageszeitungen in Mecklenburg-Vorpommern erörtert. Anlass war der beginnende Personalabbau bei der Schweriner Volkszeitung durch deren neuen Eigentümer, den Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag.
Heute ist zu bilanzieren, dass sich das gesamte Pressewesen unseres Landes in einem tiefgreifenden Umbruch befindet. Die Schweriner Volkszeitung hat inzwischen ein Drittel ihrer Belegschaft verloren. Wer glaubte, das Blatt käme nach diesem Personalabbau in ruhigeres Fahrwasser, sieht sich eines Besseren belehrt. Offenbar steht ein weiterer Verkauf bevor und es wäre eine Überraschung, wenn der neue Eigentümer nicht die nächste Runde der betriebswirtschaftlichen Optimierung in Angriff nehmen würden.
Ausgliederung, Entlassungen, Tarifflucht sind die Stichworte, die die Lage beim Nordkurier beschreiben. Der drastische Sparkurs führt zur Arbeitsverdichtung, deren Auswirkungen im Blatt zunehmend erkennbar sind. Weitere Pläne zur personellen Ausdünnung der Mantelredaktion und möglicherweise der Einkauf des Zeitungsmantels lassen erahnen, dass die regionale Bindung leiden wird.
Große Aufmerksamkeit findet die Kooperation zwischen Ostsee-Zeitung und Lübecker Nachrichten, die bereits 2010 in der Fusion beider Verlage münden könnte. Dass eine Zeitung von der Größenordnung der OZ, mit einer Auflage von 170.000 Exemplaren immerhin der größte Titel im Nordosten, nicht mehr ihren eigenen Mantel produziert, ist eine neue Dimension der Konzentration in den regionalen Zeitungsmärkten.
So dramatisch die Auswirkungen auf die Beschäftigten sind, ich möchte hier die Folgen dieser Prozesse für die Funktion der Tageszeitungen in den Mittelpunkt stellen. Unter der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen leidet die Qualität, bilanziert der Medienwissenschaftler Horst Röper, der 2005 vor diesem Gremium gesprochen hat. Und mit der Qualität leidet die Glaubwürdigkeit. Ist die erst einmal beschädigt, so Röper, dann sinken auch die Auflagen. An einer solchen Entwicklung können weder die Verlage, noch die Beschäftigten und auch nicht die Öffentlichkeit ein Interesse haben.
Machen wir uns klar: Was in und mit den Tageszeitungen geschieht, berührt einen Kernbereich unserer demokratischen Gesellschaft. Zu Recht rangiert die Pressefreiheit im Grundgesetz gleichauf mit der Garantie des Eigentums. Demokratie braucht eine freie, unabhängige und vor allem vielfältige Presse. Das ist eine wesentliche Lehre, die die Väter des Grundgesetzes aus der NS-Zeit gezogen haben.
Die zentrale Rolle der Presse für die Demokratie hat das Bundesverfassungsgericht im viel zitierten Spiegel-Urteil bereits 1966 deutlich gemacht: „Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse hält die ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung. In ihr artikuliert sich die öffentliche Meinung; die Argumente klären sich in Rede und Gegenrede, gewinnen deutliche Konturen und erleichtern so dem Bürger Urteil und Entscheidung.
In der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als
ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen
gewählten Vertretern in Parlament und Regierung. Sie faßt die in der
Gesellschaft und ihren Gruppen unaufhörlich sich neu bildenden
Meinungen und Forderungen kritisch zusammen, stellt sie zur Erörterung
und trägt sie an die politisch handelnden Staatsorgane heran, die auf
diese Weise ihre Entscheidungen auch in Einzelfragen der Tagespolitik
ständig am Maßstab der im Volk tatsächlich vertretenen Auffassungen
messen können. “
Die nötige Qualität, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden,
entsteht nicht automatisch. Die Vielfalt ist eine notwendige
Voraussetzung. Das ist die Grundannahme in der rechtspolitischen
Diskussion des Themas, die sich unter dem Stichwort „Außenpluralismus“
zusammen fassen lässt: Weil verschiedene Zeitungen erscheinen, finden
sich letztlich alle Aspekte und Meinungen wieder.
Davon kann in Mecklenburg-Vorpommern freilich kaum noch die Rede
sein: Die Zeitungsdichte liegt bei knapp über 1,0. Es gibt in den
meisten Regionen des Landes keine Auswahl unter den
Regionaltiteln.
Ausgenommen ist der Großraum Rostock, in dem neben der Ostsee-Zeitung
auch die Norddeutschen Neuesten Nachrichten erscheinen, seit Anfang der
90-er Jahre ein Kopfblatt der Schweriner Volkszeitung. Zumindest ihr
hat diese „Kooperation“ nicht gut getan, denn die Auflage ist von
32.000 auf rund 12.000 geschrumpft, deutlich stärker als bei anderen
Blättern.
Wie lange die Leser in Grevesmühlen noch die Wahl zwischen zwei von verschiedenen Redaktionen produzierten Ausgaben haben, ist absehbar und auf Usedom räumt der Nordkurier das Feld.
Auch die Mehrzahl der Anzeigenblätter stehen direkt oder mittelbar unter Einfluss der großen Verlage. Gleiches gilt für den Privatrundfunk.
Wenn nun aber neben Markt- auch Meinungsmacht droht, werden grundlegende Annahmen der medienrechtlichen Regulierung hinfällig. Innere Pressefreiheit wird dann geradezu zwingend – als Bestandteil der institutionellen Garantien von Pressefreiheit.
Die äußere lässt sich nicht von der inneren Pressefreiheit trennen. Es handelt sich das eine Mal um ein Abwehrrecht gegen äußere, vor allem staatliche Eingriffe. Das andere Mal schützt sie den grundgesetzlichen Auftrag der Presse gegen unternehmerische Eingriffe. Träger der Pressefreiheit sind somit Verleger und Journalisten.
So kam der Berichterstatter des 1. Senats beim Bundesverfassungsgericht, Wolfgang Hoffmann-Riem, zu dem Befund, „dass die innere Pressefreiheit eine politische Aufgabe ist“.
Dabei gilt es von vornherein klarzustellen: Zur Pressefreiheit gehört notwendigerweise die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Verlage. Andererseits darf die Pressefreiheit eben nicht zu einem Instrument verkommen, um ausschließlich die Rendite zu steigern.
In diesem Spannungsverhältnis gilt es, die Gestaltungsoptionen der Politik zu nutzen, ohne zu reglementieren. Es gilt, Rahmenbedingungen zum Schutz der Pressefreiheit zu setzen. Die Ausgestaltung dieses Rahmens muss – das ist auch unser gewerkschaftliches Selbstverständnis – durch die Akteure der Presse, Verleger und Journalisten, eigenverantwortlich erfolgen. Die Pressefreiheit braucht vorrangig Selbstregulierung, so wie es ja auch schon in der Selbstkontrolle der Fall ist.
Es geht darum, den Realitäten ins Auge zu sehen und heute Voraussetzungen zu schaffen, damit die Presse unter den veränderten Bedingungen ihrer Aufgabe für die demokratische Gesellschaft dauerhaft gerecht werden kann. Wir begrüßen die heutige Anhörung als einen ersten, wichtigen Schritt auf dem Weg, die öffentliche Diskussion über die Medien zu verstetigen.
Sie sollte aus unserer Sicht in einer Novellierung des Landespressegesetzes münden. Die Regierungsparteien sind gefordert, ihren im Koalitionsvertrag vereinbarten Prüfauftrag ernst zu nehmen. Die Opposition sollte sie dabei kritisch begleiten.
Ein regelmäßiger, wissenschaftlich begleiteter Bericht zum Stand der Pressefreiheit ist das geeignete Instrument, um sich rechtzeitig über Entwicklung bewusst zu werden und gegebenenfalls auf Gefährdungen von Qualität und Vielfalt reagieren zu können.
Ziel muss sein, Transparenz über die Besitz- und Beteiligungsverhältnisse sowie über die publizistischen Grundsätze herzustellen, von denen sich eine Zeitung leiten lässt.
Vor allem aber gilt es, sich eins vor Augen zu führen: Um Qualität und Vielfalt der Blätter dauerhaft zu sichern, bedarf es der engagierten Beteiligung aller Journalisten im Alltag. Die Stärkung der Mitsprache- und Mitwirkungsrechte liegt ebenso im Interesse der Verlage wie der Öffentlichkeit. Sie ist Zeichen einer demokratischen Kultur unserer Zivilgesellschaft.
Unser Land braucht seine Zeitungen!